Thielemann, Kristin

Plötzlich Online-Lehrkraft!?

Digitaler Unterricht muss zu einer ernstzunehmenden Ergänzung im Unterrichtsrepertoire werden

Rubrik:
erschienen in: üben & musizieren online , Seite 01

Noch vor Kurzem war es die normalste Sache der Welt, Schülerinnen und Schüler in der Musikschule oder den eigenen privaten Unterrichtsräumen zu empfangen und sie in einer Face-to-Face-Lesson am Instrument oder im Gesang zu unterrichten. Jahrhundertelang war dies die einzige Methode und wir alle besitzen ein großes Repertoire, um die Vorteile dieser bewährten Art des Unterrichtens für unsere Schülerinnen und Schüler zu nutzen. Dann aber kam das Coronavirus und schon bald war den ersten unter uns Lehrkräften klar, dass verstärkte Hygienemaßnahmen im Unterricht alleine nicht unser einziger Beitrag zu dieser Krise sein würden. Nachdem in Europa nun flächendeckend die Bildungseinrichtungen und somit auch die Musikschulen geschlossen wurden und sämtliche sozialen Live-Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren sind, wird deutlich: Wer weiterhin für seine Schülerinnen und Schüler da sein möchte, muss auf digitalen Unterricht umstellen.

Jeder Pädagogin, jedem Pädagogen ist bewusst: Nicht nur wir Erwachsene leiden unter dieser Ausnahmesituation, der Unsicherheit, vielleicht auch der (Existenz-)Angst, sondern auch unsere Schülerinnen und Schüler. Daher ist es in dieser Krise wahrscheinlich wichtiger als jemals zuvor in unserer Laufbahn als Musikpädagogen, dass wir für die Schülerinnen und Schüler da sind und ihnen mit unserem Unterricht zumindest ein kleines Stück Alltag zurückgeben. Außerdem können wir die Kinder und Jugendlichen nun darin unterstützen, ihre um einiges umfangreichere Freizeit sinnvoll zu nutzen oder auch, ihre Gedanken und Gefühle in Musik auszudrücken. Jetzt können sie spüren, wie tröstend es sein kann, beim Musizieren zumindest für einen kleinen Moment den Alltag zu vergessen.
Auch spielt für viele Kinder und Jugendliche die Bindung zu ihrer Lehrperson eine große Rolle: Häufig kennen wir unsere Schülerinnen und Schüler seit vielen Jahren und wir sind die PädagogInnen, die sie oft am längsten in ihrer gesamten Schulzeit begleiten. Die meisten von uns wissen daher auch aus eigener Erfahrung, welch wichtige Rolle die Instrumentallehrkraft für die Persönlichkeitsentwicklung spielt. Wir  sollten uns in dieser Krise darüber bewusst sein, dass wir – von den Eltern abgesehen – im Augenblick möglicherweise die einzigen Erwachsenen im Leben dieser jungen Menschen sind, die sich Zeit für sie nehmen, auf sie eingehen und aktiv in einen Austausch treten.

Digitaler Unterricht – jetzt erst recht!

Darum kann die einzig richtige Entscheidung für uns nur sein: Musikpädagogik – jetzt erst recht! Selbst wenn wir uns bisher gegen alles Digitale gesträubt haben, ist jetzt der Moment, wo wir aus dem Nichts heraus zur digitalen Lehrkraft werden müssen. Für unsere Schülerinnen und Schüler, aber auch für uns selbst! Denn natürlich wird es gewisse Finanzhilfen für uns Kulturschaffende geben, aber da äußerst ungewiss ist, wie lange diese Krise dauert und ob sie vielleicht auch noch einmal zurückkommt, wann und in welcher Höhe die Finanzhilfen kommen – die digitale Form des Unterrichts kann und muss zu einer ernstzunehmenden Ergänzung in unser aller Unterrichtsrepertoire werden.
Nun hat der digitale Musikunterricht zwei Bereiche: den technischen und den pädagogisch-didaktischen. Natürlich wird jemand, der sich bisher noch nicht intensiv mit digitaler Kommunikations- und Aufnahmetechnik beschäftigt hat, nicht über Nacht zu einem Technikfreak werden – schon allein, weil es hier auch schnell ins Geld gehen kann, wenn man nicht genau weiß, an welcher Stelle man sein persönliches Equipment ausbauen möchte. Aber zum einen lässt sich bereits mit einer minimalen Ausstattung, die zum Haushalt beinahe jedes Menschen gehört, ein technisch einwandfrei funktionierender Unterricht gestalten und zum anderen sollten wir nicht vergessen, dass die pädagogisch-didaktische Komponente ein Feld ist, auf dem wir sehr schnell viele Kniffs dazulernen können, mit denen sich schnell ein motivierender Musikunterricht herstellen lässt.
Darum bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, seien Sie gerade jetzt für Ihre Schülerinnen und Schüler da und begeben Sie sich auf eine wunderbare und spannende Reise in die digitale Welt. Eine Reise, die Ihr Leben positiv verändern wird, auch wenn es manchmal nicht leicht zu werden scheint. Eine Reise zu Orten, die Ihnen und Ihrem Unterrichtsalltag auch nach der Coronakrise viele neue Impulse bieten wird und Sie Ihren Beruf wieder ganz neu entdecken lässt!

Neue Wertschätzung

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir zeigen können, wie wertvoll unser Unterricht nicht nur für eine musikalische, sondern auch für eine persönliche Entwicklung von (jungen) Menschen ist. Wir sollten uns daher nicht scheuen, für unsere hochwertigen Leistungen auch eine angemessene Entlohnung zu fordern. Dazu gehört es, mit einer Stimme zu sprechen, auf unsere Leistungen hinzuweisen und einen Mindestlohn einzufordern – bei jeder Art von Musikschule, ob privat oder von der öffentlichen Hand finanziert! Gerade die Digitalisierung von Musikunterricht und die wahrscheinlich in naher Zukunft üblichen Mischformen von digital und analog sowie die dadurch stattfindende flächendeckende Fortbildung aller Musikpädagogen in diesem Bereich rechtfertigen in meinen Augen eine längst (über-)fällige Wertschätzung unseres Berufs durch eine angemessenere Entlohnung!
Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben, dass Sie physisch, aber auch psychisch gut durch diese Krise kommen – und man im Rückblick über uns sagen wird, dass wir mit der nun stattfindenden Digitalisierung des Musikunterrichts Großartiges geschaffen haben!