Severn, Edmund

Polnischer Tanz

Herausgegeben von Kurt Sassmannshaus

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2019
erschienen in: üben & musizieren 6/2019 , Seite 58

Seit Jahren hatte man sich schon fast damit abgefunden, dass viele Werke der Kinder- und Jugendliteratur nur in Uralt-Ausgaben aus der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erhältlich sind – wenn überhaupt. Die historischen Bogenstriche und Fingersätze wichen in der Geigenstunde dann einer modernen Einrichtung, die die Lehrperson mit Bleistift in den Geigenpart hineinschrieb.
In jüngster Zeit sind die ­Dinge einfacher geworden. Genauer gesagt, seit es „Bärenreiter’s Concert Pieces“ gibt. Riedings, Seitz’ oder Accolays Schülerkonzerte, die beiden bekanntesten Concerti von Bériot, Vivaldis Werk in G-Dur, dazu das berühmte Allegro von Fiocco und einiges mehr gibt es bereits in hochwertigen Neuausgaben. Die Einrichtungen hat Kurt Sassmannshaus besorgt, einer der renommiertesten und erfahrensten Violinpädagogen überhaupt. Seit vielen Jahren lehrt er am Conservatory of Music in Cincinnati, Ohio, viele bekannte GeigerInnen sind aus seiner Klasse hervorgegangen.
Bogenstriche und Fingersätze ent­sprechen modernem Standard und vermitteln einen hervorragenden Zugang zu einer zeitgemäßen Fingersatzsystematik, wie sie von Lehrerpersönlichkeiten wie Ivan Galamian, Max Rostal, Dorothy Delay oder Ogor Ozim – die beiden Letzteren übrigens Lehrer von Sassmannshaus – entwickelt und geprägt wurde.
Neu erschienen ist nun der Polnische Tanz von Edmund Severn (1862-1942). Über den Amerikaner ist wenig bekannt. Er studierte Violine und Komposition in Berlin und lebte und wirkte danach im Nordosten der USA. Severn schrieb einiges an Orchestermusik, ein Violinkonzert, drei Streichquartette, viel sonstige Violinmusik. Alles davon ist heutzutage vergessen, mit Ausnahme eben jener hübschen und ­temperamentvollen kleinen Mazurka. In der Neuausgabe findet sich ein interessantes Zitat des Komponisten: „Beherrschung des Geigenspiels bedeutet für mich, technische ­Fähigkeiten so weit wie möglich für künstlerische Zwecke einzusetzen!“ Eine überraschend moderne Auffassung.
Der Polnische Tanz ist farbige, lebendige, äußerst ­effektvolle Musik, schwieriger klingend als sie zu spielen ist. Raffiniert streut Severn virtuose Techniken ein: Pizzicato der ­linken Hand, aber immer nur mit leeren Saiten, Flageoletts, aber keine künstlichen, Doppelgriffe und Akkorde, aber nur solche der einfacheren Art, Lagenspiel, aber mit einer Ausnahme nie über die 3. Lage hinaus, G-Saiten-Melodik, in der man sich nach Lust und Laune „suhlen“ kann. Also ein echter „crowd pleaser“, wie man im Amerikanischen sagt. Und dazu Literatur, die kleine GeigerInnen mit ­virtuosen Spielarten vertraut macht, ohne sie jemals zu überfordern. Kein Wunder, dass alle Kinder, denen ich das Stück zu lernen gab, den Polnischen Tanz mit Wonne und Begeisterung spielten! Sehr zu empfehlen!
Herwig Zack