Jewanski, Jörg

Portrait Gitarre

Kultur, Praxis, Repertoire, Interpreten

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2011
erschienen in: üben & musizieren 2/2012 , Seite 60

Dicht gedrängt auf 156 Seiten stellt uns der Autor das Phänomen Gitarre in verschiedenen Schattierungen vor. Im ersten Kapitel („Streiflichter: zur Kunst- und Kulturgeschichte der Gitarre“) zeigt er auf, dass die Gitarre aus unserer musikalischen Kultur durch ihre Verwurzelung in fast allen Genres nicht wegzudenken ist und auch ihren festen Platz in der bildenden Kunst hat. Die Sagengestalt Orpheus ist da ein gutes Beispiel. Im ersten Tabulaturdruck von 1536 für die Vihuela wird Orpheus dargestellt: Luis Milán, der Komponist erwähnter Tabulaturdrucke, wird wie Orpheus von wilden Tieren umringt, die ihm lauschen, wie er singt und spielt. Wie Orpheus zu singen und zu spielen, ist schließlich bis heute das Ziel eines jeden Gitarristen, so wie es Reinhard May auf seiner ersten LP 1967 bekennt: „Ich wollte wie Orpheus singen, dem es gelang, Felsen selbst zum Weinen zu bringen, durch seinen Gesang.“
Das Kapitel „Die Konzertgitarre. Wie alles begann“ beschäftigt sich mit der Musik für die Gitarre und ihre historischen Vorläufer von der Renaissance bis zur neuen Musik für E-Gitarre sowie ihren Interpreten. Lebendig wird diese Beschreibung durch Interviews, die der Autor mit Hopkinson Smith als Interpreten für alte Musik und Reinbert Evers für zeitgenössische Musik führt.
Das nächste Kapitel befasst sich dann ausführlich mit den Interpreten und der vielleicht müßigen Frage, wer denn nun der Beste sei. 2003 veröffentlichte die Zeitschrift Rolling Stone im Internet die Liste „The 100 Greatest Guitarists of All Time“. Die unbestritten wichtigsten zeitgenössischen Gitarristen verschiedener Genres werden vorgestellt und ihr Einfluss auf das Repertoire, auf andere Spieler und das Publikum, kurz auf die Rolle, die die Gitarre in der Kulturgeschichte der vergangenen Jahrzehnte spielte, kompetent und kurzweilig erläutert.
Das dritte Schlaglicht auf die Gitarre stellt das Instrument selbst in seinen Konstruktionen und Stimmungen vor. Diese Instrumentenkunde beginnt mit der ersten überlieferten Abbildung, einem 4000 Jahre alten Relief, stellt z. B. die Quinterne des 16. Jahrhunderts vor und findet ihren Bezug zur Gegenwart bei Gibson und Fender. Auch hier sind zwei Interviews eingefügt: Mit Bernhard Kresse, der Gitarren aus dem frühen 19. Jahrhundert restauriert und nachbaut, sowie mit dem E-Gitarrenbauer Oliver Baron. Abschließend informiert das Kapitel „Ausbildung und Kompetenzen“ knapp über Möglichkeiten, einen Gitarrenlehrer zu finden, Gitarre zu studieren und den Beruf des Gitarristen auszuüben.
Zahlreiche Internetadressen verhelfen dem Buch zu Aktualität. Viele schöne Abbildungen, Buch- und CD-Hinweise sowie Zitate im Fließtext sorgen für Kurzweil beim Blättern und Lesen. Jörg Jewanski hat sich wieder als profunder Kenner der Gitarrenszene erwiesen und ein „zeitgenössisches Portrait“ der Gitarre gezeichnet, das zu betrachten lehr- und freudenreich ist.
Ulrich Hellberg