Kornemann, Matthias

Portrait Klavier

Kultur, Praxis, Repertoire, Interpreten

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2010
erschienen in: üben & musizieren 4/2011 , Seite 54

Alle wichtigen Themenbereiche rund um das Klavier auf 168 Seiten? Das scheint gewagt. Aber ein Porträt ist selten ein Großformat, es darf subjektiv sein und sagt oft ebenso viel über den Maler wie über den Porträtierten. Besonders gelungen ist das Einleitungskapitel „Klavierwelten“. In konzentrierter, lebendiger Sprache schildert Matthias Kornemann den Aufstieg des Klaviers vom privaten Bereich über die halböffentlichen Salons bis zum Konzertsaal. Dabei zeichnet er gesellschaftliche Entwicklungen nach und betont vor allem den großen Anteil des ­Bildungsbürgertums an der Erfolgsgeschichte des Klaviers.
Dass er heute nur noch ein „Trümmerfeld“ einer einstmals reichen Kulturlandschaft wahrzunehmen meint, mutet sehr pessimistisch an. Unbedingt bedenkenswert ist jedoch seine Warnung davor, dem Schwund des Konzertpublikums durch die Darbietungsformen der Popkultur entgegenwirken zu wollen. Den oft abwertend gebrauchten Begriff „museal“ wendet er ins Positive und argumentiert, dass Werke der Vergangenheit gerade in einem Museum ihre Lebendigkeit bewahren können.
Im zentralen Kapitel „Eine kleine Geschichte der Klaviermusik“ bekennt sich der Autor zu einer konservativen Haltung. Den seit mehr als 100 Jahren gültigen Kanon an „Meisterwerken“ lässt er uneingeschränkt (und vor allem ohne wesentliche Erweiterung) gelten. Bach und Beethoven werden ausführlich gewürdigt, bevor die Rede auf das „Zentralgestirn“ kommt: Mendelssohn, Schumann, Chopin und Liszt. Mit Mendelssohn allerdings tut sich der Autor schwer: Nachdem er zunächst davor warnt, Erwartungen an ein Werk heranzutragen, die der Komponist vielleicht gar nicht erfüllen wollte, tappt er wenig später selbst in diese Falle, indem er das Fehlen romantischer Zerrissenheit beklagt und etwas mürrisch zu Protokoll gibt, Mendelssohn „hätte alles gekonnt, wenn er nur gewollt hätte“. Erfreulicherweise ist eines der 18 Komponistenporträts Gab­riel Fauré gewidmet.
Das Kapitel „Große Pianisten“ zeigt eine deutliche Vorliebe des Autors für die alte Generation. Michelangelis Antwort auf die Frage nach seinen Lieblingspianisten: „Sie sind alle tot“, könnte auch die Kornemanns sein. Nach ausführlicher Würdigung der Pianistenlegenden von Cortot bis Gould zeigt sich der Autor jedoch auch als genauer Kenner der heutigen Pianistenszene und aufmerksam-kritischer Beobachter des Wettbewerbsbetriebs.
Ein eigenes kleines Kapitel ist der Entwicklung des Instruments gewidmet. Hier besticht die Anschaulichkeit und Lebendigkeit, mit der Kornemann die eher trockene Materie behandelt. Die abschließenden Tipps zu Unterricht und Lehrersuche sind dagegen zu oberflächlich und ungenau, um interessierten LeserInnen weiterhelfen zu können.
Sehr ansprechend ist die Ausstattung des Buchs mit zahlreichen, schön ausgewählten Bildern sowie in den Fließtext eingestreuten Zitaten, Buch- und CD-Tipps.
Sigrid Naumann