Indetzki, Annette

Projekt Tagesmusikschule

Die Berliner Joseph-Schmidt-Musikschule geht mit MultiDimensionalem InstrumentalUnterricht (MDU) neue Wege

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 5/2010 , Seite 36

Im Berliner Schulgesetz findet man den Satz: „Die Musikschulen kooperieren mit den allgemein bildenden Schulen.“ Das hat für Musikschulen erst einmal keinen Neuigkeitswert, aber durch PISA und Schulreformen gewann das Thema musischer Bildung in Schulen an Dynamik. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung beziffert die Kosten unzureichender Bildung durch entgangenes Wirtschaftswachstum innerhalb der kommenden 80 Jahre auf 2,8 Billionen Euro. Es hieße Eulen nach Athen zu tragen, hier über die Transfereffekte aktiver Musikausübung für Bildung und Persönlichkeit zu schreiben.
Durch die jüngste Schulreform wird in Berlin ab 2010 sukzessive ein zweigliedriges Schulsystem eingerichtet. Ein Kernstück ist der Ganztagsschulbetrieb mit Angeboten der kulturellen Bildung. Die Joseph-Schmidt-Musikschule im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick hat bereits mit Elan und Kreativität zusätzliche Angebote an Schulen geschaffen. Leider sind die für die Nachhaltigkeit dieser Kooperationen erforderlichen Bedingungen in der hoch verschuldeten Metropole Berlin nur mangelhaft: Es fehlt an Geld für die Finanzierung von Fachpersonal, Infrastruktur und Verwaltung.
Um den Bildungsauftrag bestmöglich umzusetzen, bedarf es aber auch der richtigen Unterrichtskonzepte und Fortbildungsmaßnahmen. Wie bereiten wir die hochqualifizierten InstrumentalpädagogInnen auf die spezifischen Anforderungen in den Schulen vor? „Jedem Kind ein Instrument“ aus Nordrhein-Westfalen ist in aller Munde, wir kennen das Monheimer Modell und verschiedene Formen des Klassenmusizierens. Hier trat an der Joseph-Schmidt-Musikschule der MultiDimensionale InstrumentalUnterricht (MDU) auf den Plan. Das Konzept wurde von dem Musikpädagogen Gerhard Wolters (Schweiz) entwickelt – wobei es sich beim „MultiDimensionalen InstrumentalUnterricht (MDU)“ und bei der „Tagesmusikschule MDU“ um ge­schützte Marken handelt – und ist speziell auf die Anforderungen in allgemein bildenden Schu­len ausgerichtet. Es eignet sich aber eben­so zum Einsatz an der Musikschule.
Nachdem einige Lehrkräfte im Jahr 2005 den MDU-Kurs von Gerhard Wolters in der Berliner Landesmusikakademie besucht hatten, wurden sie die Idee nicht mehr los und holten die Musikschulleitung mit ihrer Begeisterung ins Boot. Ein Jahr später gab es erste MDU-Angebote an der Musikschule. Um den Kern von zehn Lehrkräften scharten sich weitere neugierige KollegInnen.
Aber was ist MDU? Der MultiDimensionale InstrumentalUnterricht nutzt die Vorteile aller Unterrichtsformen. Simultanunterricht sowie alters- und niveaugemischtes Lernen fördern selbstbestimmtes und interaktives Lernverhalten. Erworbene Methoden- und Selbstkompetenzen wirken sich positiv auf andere Lernfelder aus.
Besonders bestechend ist MDU durch seine Flexibilität. Diese erschließt sich schon bei Betrachtung der möglichen Dimensionen des Unterrichts: Lernen mit mindestens zwei UnterrichtspartnerInnen, in mehreren Räumen, in flexiblen Zeiten, mit mehreren Lehrkräften, mit UnterrichtspartnerInnen verschiedenen Alters und Niveaus und Lernen verschiedener Instrumente. Dabei können, müssen aber nicht alle Dimensionen gleichzeitig eingesetzt werden. MDU kann schon mit zwei SchülerInnen beginnen; sukzessive kommen bald weitere hinzu. Damit kann in der Praxis in ganz kleinem Umfang begonnen werden. Schülerzahl und Infrastruktur können langsam wachsen. In dieser Möglichkeit des individuellen Wachsens je nach Gegebenheiten liegt einer der größten Vorteile des Konzepts.
Das Internationale Pilotprojekt „MultiDimensionaler InstrumentalUnterricht – Tagesmusikschule MDU®“ startete mit einem vier­tägigen Ausbildungsseminar im August 2009 an der Joseph-Schmidt-Musikschule gemeinsam mit den anderen Teilnehmerländern Österreich und Schweiz. Aus Treptow-Köpenick nehmen neun Lehrkräfte der Musikschule und zwei Musiklehrerinnen der allgemein bildenden Schule an der Ausbildung teil. Weitere drängen nach.
Wie es dazu kam? Die für Bildung politisch Verantwortlichen im Bezirk wurden für das Projekt gewonnen. In der Einstiegsphase ab 2012 sind an den drei Gemeinschaftsschulen des Bezirks je zwei wöchentliche Musiknachmittage geplant, um 120 bis 180 SchülerInnen Musikschulunterricht anzubieten. Die entsprechende Fortbildung der Lehrkräfte ist dabei unverzichtbar. Inzwischen wird das Projekt auch durch die Berliner Senatsbildungsverwaltung gefördert.
In der drei Schuljahre dauernden Fortbildung unter Leitung von Gerhard Wolters wechseln sich Ausbildungs- und Praxisphasen ab, begleitet durch individuelle Beratung und Supervision. Letztere finden vor Ort einzeln oder im Team in Form von Unterrichtsbesuchen, Reflexionen und Beratungen statt. Auf dem Lehrplan stehen Kompetenzen für Simultanunterricht, alters- und niveaugemischtes Lernen sowie fächerübergreifendes Teamteaching.
Zum internationalen Austauschwochenende trafen sich in diesem Jahr alle im österreichischen Mürzzuschlag. Die Berliner KollegInnen kamen hochmotiviert und voller neuer Erfahrungen zurück. Das nächste internationale Austauschtreffen findet im Frühsommer 2011 in Berlin statt.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 5/2010.