Syfuß, Enno
Relation und Resonanz
Die Bedeutung des musikalischen Lernens für die Entwicklung der kindlichen Wirklichkeit unter Berücksichtigung konstruktivistischer und neurobiologischer Perspektiven
Die beiden titelgebenden Begriffe „Relation“ und „Resonanz“ verdanken sich hochkomplexen philosophischen Überlegungen über die menschliche Erkenntnisfähigkeit. Enno Syfuß greift dabei zurück auf die älteren agnostischen Vorstellungen, dass das menschliche Wissen um die Wirklichkeit nur eine Konstruktion sei, und schließt sich den neueren moderaten Formen des Konstruktivismus an, die zumindest die Idee von Relationen zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit akzeptieren und individuelle Aneignungen vorsehen können.
Seinem Buch liegt eine Dissertation zugrunde. Und sie stellt sich vergleichbar zu anderen Arbeiten als ein Work-in-Progress dar, wodurch sich die anfänglichen sehr langen Ausführungen zum Wirklichkeitsbegriff und die begleitenden Erörterungen zu unterschiedlichen systemtheoretischen Modellen erklären. Was er als Grundlage seiner weiteren Betrachtungen braucht, ist letztendlich nur ein Relationsbegriff, der dynamisch ist und kognitive wie somatische Faktoren umschließt bezüglich der geistigen Repräsentation der materiellen Welt. Es handelt sich dabei letztlich um eine sympathische Setzung, denn das dahinter stehende Problem, wie Materielles zu einem geistigen Vorgang wird, erscheint seit Jahrtausenden unlösbar.
Syfuß befragt vor allem die Neurobiologie bzw. Hirnforschung nach Lösungsansätzen. Nachdrücklich hebt er vor allem die erst aus den 1990er Jahren datierenden Forschungen zu den Spiegelneuronen hervor. Beobachtete menschliche Handlungen führen zu neuronalen Handlungsimpulsen, die auch als Grundlage zwischenmenschlichen Verstehens interpretiert wurden. Syfuß billigt den Spiegelneuronen eine besondere Rolle für das Musiklernen zu. Sie scheinen verantwortlich für den motorischen Nachvollzug wie auch das Hören und die Koordination mit anderen SpielerInnen. In welchem Ausmaß sie tatsächlich verantwortlich sind, weiß man einstweilen aber nicht. Denn es gibt dazu keine speziellen Untersuchungen. Allerdings würden sie sich durch das von Ganzheits-und Gestaltpsychologen schon immer gern zitierte Beispiel des Gesangsunterrichts stützen lassen, nämlich dass das Vormachen wirksamer ist als die Erklärung von zu betätigenden Muskelgruppen des Kehlkopfs.
Syfuß hat eine bewunderungswürdige Fülle an hirnphysiologischer Literatur aufgearbeitet, die offensichtlich eine große Faszination auf ihn ausgestrahlt hat. Dabei kann einem sicher leicht auch der Blick dafür verlorengehen, dass es sich um eine Wissenschaftsdisziplin handelt, die durchaus noch in den Anfängen steckt, weil sie nur neurobiologische Reaktionen messen und diese lediglich auf der Grundlage psychischer Erscheinungen deuten kann, Letztere aber nicht erklärt. Das vorliegende Buch enthält weiterhin Ausführungen zur Entwicklungspsychologie mit einer besonderen Betonung der Theorie von Jean Piaget.
Und es wird ergänzt durch musikpädagogische Beispiele. Letztere machen den interessantesten Teil des Buchs aus, da Enno Syfuß ausgezeichnete Analysen von Lernvorgängen zu leisten vermag. So besticht beispielsweise die Darlegung von Lernschritten eines Kindes bei einem einfachen Klatschspiel. Ob und wie diese Lernschritte mit Spiegelneuronen zusammenhängen, lässt sich aber einstweilen nicht genau beschreiben.
Helga de la Motte-Haber