Kroboth-Kolasch, Martina

Rhythmusspiel mit Sandsäckchen

Wie Musiktheorie mit allen Sinnen erlebt werden kann

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 4/2014 , Seite 27

Die Begriffe “Theorie” und “lustvolle Begegnung” in einem Atemzug zu hören oder von “Musikkunde” in Verbindung mit “erleben” zu lesen, ist eher ungewöhnlich. Doch stellen Sie sich vor, im Mittelpunkt des Unterrichtsfachs Musiktheorie stünde die sinnliche, lustvolle Begegnung mit den Phänomenen der Musik: Durch Musizieren, Ausprobieren und Entdecken werden Musikkunde-Inhalte erlebt und somit das Musik­verständnis erweitert.

Gleich nach der Begrüßung beginnt die Lehrerin mit einem rhythmisch gesprochenen Vers (NB 1), den alle Kinder mitsprechen und der anschließend mit Bodypercussion in Vier­tel- und Achtelnoten (NB 2) begleitet wird. Der Spruch wird variantenreich musiziert, z. B. mit und ohne Begleitung oder als Kanon. Am Ende verharren die Gruppen in unterschiedlichen Freezes.

So könnte ein Stundeneinstieg, das „Warm-up“ in eine Musikstunde an einer Grundschule aussehen und sich als Anfangsritual mit verschiedenen Variationen über einen längeren Zeitraum etablieren. Wenn ich mit Kolleginnen aus der Grundschule spreche, berichten sie mir, dass die Kinder und auch sie selbst solche Sprüche und Lieder lieben. Leider aber bliebe so wenig Zeit, da man ja auch den Stoff des Lehrplans behandeln müsse. Beim genaueren Studieren des Österreichischen Lehrplans für Volksschulen (und ich vermute, dass dies in deutschen Lehrplänen für Grundschulen nicht anders ist) finde ich Lehrplaninhalte wie Musizieren, Hören, Bewegen zur Musik und Gestalten.1 Somit hätte ich mit diesem praktischen Einstieg sehr wohl einige Lehrplaninhalte angesprochen. Wie steht es aber mit den musiktheoretischen Anforderungen des Lehrplans wie z. B. „Tonfolgen, Rhythmen und Formverläufe erfassen, notieren und spielen“ oder „Nach einfachen Notationen einzeln und gemeinsam musizieren“?
Bei solchen vermeintlich theoretischen Inhalten scheint es nahe liegend, die Begriffe zu erklären und kognitive Vermittlungsstrategien zu verwenden. Ein kognitiver Zugang entspricht aber entwicklungspsychologisch keineswegs dem Lernverhalten von Kindern, denn musikalische Phänomene wie z. B. laut und leise, hoch und tief oder die Tondauern sollten erlebt, gehört, gespürt und gespielt werden. „Menschen lernen, indem sie aktiv handelnd in der Welt sind und so das notwendige Wissen und die Fähigkeiten zur Lösung der sich immer von neuem stellenden Probleme aufbauen.“2 Warum also nicht die Musikkunde-Inhalte durch aktives Tun erlernen und somit die theoretischen Begriffe mit musikalischen Erlebnissen kombinieren?
Die Dozentinnen des Instituts für Musikpädagogik an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz entwickelten in Zusammenarbeit mit Kolleginnen des oberösterreichischen Landesmusikschulwerks Materialien3 für den Musikkunde-Unterricht, die in einem zweijährigen Schulversuch getestet wurden (in österreichischen Musikschulen wird, ergänzend zum Instrumentalunterricht, das Fach Musiktheorie angeboten). Ausgehend von der Vision, methodische Grundsätze und Inhalte der EMP mit Musikkunde-Inhalten zu verknüpfen und dadurch einen erlebnisorientierten, aktiven Zugang zu schaffen, kristallisierten sich die Grundideen dieser Materialien schnell heraus: Methodisch stehen ganzheitliches Erleben und Lernen, das Prinzip vom Erleben – Erkennen – Benennen, aktives Musizieren in der Gruppe und die Verknüpfung von Musik, Bewegung und Stimme im Sinne der EMP im Vordergrund. Inhaltlich waren die folgenden Themen für die Materialsammlung unerlässlich: das Singen bzw. die Solmisation und das damit verbundene Hören und Aufbauen einer inneren Klangvorstellung, das Arbeiten an der Körperhaltung und der Durchlässigkeit des Körpers, die Rhythmus- und Metrumarbeit sowie auch das gemeinsame Musizieren.

1 www.bmukk.gv.at/medienpool/14050/vslpsiebenterteilmusikerzieh.pdf (Stand: 23.5.2014).
2 Maria B. Spychiger: „Lernforschung. Ein Blick in ihre Grundlagen und Anwendungen im Wechsel der psychologischen Paradigmen“, in: Diskussion Musikpädagogik 19/2003, S. 3.
3 Die noch unveröffentlichten Materialien (Projektleitung Bianka Wüstehube) befinden sich zurzeit in der Weiterentwicklung.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2014.