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Thielemann, Kristin

Ruhe auf Knopfdruck!?

Unterrichtsstörungen und Disziplinkonflikte in Musiziergruppen mit Kindern

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2025 , Seite 20

Insbesondere im Gruppenunterricht oder beim Ensemblespiel können verhaltensauffällige SchülerInnen uns jede noch so gut vorbereitete Stunde sprengen. Doch statt zu kapitulieren, stellt sich die Frage: Wie kann eine Erziehung gestaltet werden, die ­musikalische Bildung ermöglicht?

Die Klassenzimmertür knallt zu, Staub rieselt vom Türrahmen. Sechs Zweitklässler haben gerade meinen Trompetenunterricht in einem Nebengebäude der Grundschule verlassen und toben nun laut vor dem Unterrichtsraum. Nach dieser ersten Stunde mit meiner neuen Gruppe ist mir klar: Diese Kinder, einige von ihnen mit ADHS-Diagnose,1 sind pädagogisch äußerst herausfordernd. Bevor musikalisches Lernen möglich wird, braucht es eine pädagogische Grundlage: Klarheit, Beziehung und Strukturen, die Orientierung geben – damit aus einem chaotischen Durcheinander ein produktives Miteinander wird, geprägt von Respekt, Toleranz und Rücksichtnahme. Nur so gelangen wir ins musikalische Lernen – und erst dann stellen sich Fortschritte und Lernerfolge ein. Verzichte ich hingegen auf diesen wichtigen Erziehungsschritt oder delegiere ihn an Eltern oder Klassenlehrpersonen, verpasse ich die Chance, die Weichen für nachhaltiges (musikalisches) Lernen zu stellen.

Bereits im Unterricht mit AnfängerInnen kann es laut werden: Blasinstrumente und Schlagwerk erreichen schnell 120 Dezibel; auch herumschreiende Kinder bringen es spielend auf diesen Wert! Für uns Lehrkräfte bedeutet das eine doppelte Herausforderung: zum einen der Lärmpegel selbst, der als Belastung erlebt werden kann;2 zum anderen das Gefühl, versagt zu haben, weil es nicht gelingt, Ruhe herzustellen und ein lernförderliches Umfeld zu schaffen. Welche Faktoren können dazu beitragen, dass konzentriertes Arbeiten mit Kindern in Musiziergruppen gelingt?

Ruhiger Stundenbeginn

Auf einen ruhigen Stundenbeginn lege ich großen Wert, er bietet die Grundlage für eine gelungene Unterrichtsstunde.
– Der Bereich vor dem Unterrichtsraum ist als Ruhezone ausgewiesen. Das erleichtert den Übergang in eine fokussierte, störungsfreie Lernumgebung.
– Bei einigen Gruppen begrüße ich jede und jeden persönlich an der Tür, nehme mir einen Moment Zeit für den Austausch und schaffe so Verbindung. Dieses kleine Ritual wirkt sich spürbar positiv auf das Miteinander aus. Andere lasse ich geschlossen und mit klarem Auftrag eintreten („Bitte hinsetzen und Seite 25 im Notenbuch aufschlagen.“), weil fehlende Beaufsichtigung und unklare Arbeitsaufträge bei manchen Gruppen schnell zu Unruhe führen.
– Vor Probenbeginn hat sich Folgendes bewährt: Freie Spielzeit mit bis zu 90 dB – visualisiert über einen an der Wand hängenden dB-Messer oder eine App. Gespräche sind erlaubt, Rufen und Herumlaufen nicht.
– Sobald ich vor die Gruppe trete und den Finger auf die Lippen lege, gilt das als Signal, leise zu werden. Die Mitspielenden können es spiegeln – so haben wir viele SignalgeberInnen im Raum, ohne etwas sagen zu müssen.3
– Die eigentliche Probe beginnt nun mit einem Stück im Ruhepulstempo, das wir regelmäßig spielen und das so zu einer Art Hymne der Gruppe wird.

Positive Verstärkung

In den ersten Wochen mit einer neuen Gruppe nehme ich mir viel Zeit, sinnvolle Abläufe und Grundsätze eines guten Miteinanders einzuüben. Generell formuliere ich positiv, was ich mir wünsche – nicht, was ich mir nicht wünsche! Wo nötig, erinnere ich prompt, aber sehr ruhig daran. Läuft etwas noch nicht wie gewünscht, hilft es oft, positives Verhalten hervorzuheben, statt negatives zu sanktionieren: „Super! Timea und Julian haben schon ihr Instrument ausgepackt und Platz genommen!“ So gewinne ich schnell NachahmerInnen des positiven Verhaltens hinzu.

1 Lesenswert im Zusammenhang mit ADHS ist die Perspektive des betroffenen Journalisten Christopher Bonnen in seinem Beitrag „Transmittergewitter – Chaos im Kopf“, www.reporterpreis.de/upload/transmittergewitter-bonnen-text-inkl-namen-632d9389eb02e.pdf (Stand:5.5.2025). Für diesen Text erhielt er 2022 den Medienpreis für Wissenschaftsjournalismus der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V.).
2 Lärm stellt eine erhebliche Belastung im schulischen Arbeitsumfeld dar. In der Niedersächsischen Arbeitsbelastungsstudie 2016 berichten 79,3 % der Lehrkräfte, dass sie sich durch Lärm und laute Umgebungsgeräusche (eher) stark beansprucht fühlen. Solche kontinuierlichen Lärmbelastungen können zu physischen und psychischen Gesundheitsproblemen führen, darunter Stimmprobleme, erhöhter Blutdruck und allgemeine ­Erschöpfung. https://kooperationsstelle.uni-goettingen.de/fileadmin/user_upload/ABS/2017-04-07_arbeitsbelastungsstudie_endbericht.pdf?utm_source=chatgpt.com (Stand:5.5.2025).
3 Weitere Möglichkeiten für Ruhezeichen und eine detaillierte Erläuterung in: Thielemann, Kristin: Voll entspannt. Ruhe und Konzentration für Ihren Musikunterricht, Mainz 2025.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2025.

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