Reinecke, Carl

Sämtliche Sonaten für Violoncello und Klavier

op. 42, 89, 238, nach den Quellen hg. von Christiane Wiesenfeldt

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Wiener Urtext, Wien/Mainz 2010
erschienen in: üben & musizieren 5/2010 , Seite 63

Der Begriff „Leipziger Schule“ umreißt eine Konstellation, die für eine bestimmte Richtung steht. Als Synonym für ästhetischen Konservativismus wurde die kompositorische Leipziger Schule häufig kritisch beurteilt. Hier schien alles versammelt zu sein, was sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dem Fortschritt der „Neudeutschen“ – der liszt-wagnerschen Schule – widersetzte. Und kaum ein Name repräsentiert diese Richtung so nachhaltig wie der des Komponisten, Pianisten, Dirigenten und Lehrers Carl Reinecke (1824-1910). Er hatte noch zu Mendelssohns Lebzeiten am Leipziger Konservatorium studiert, er stand hier und später in Düsseldorf in engem Kontakt zu Schumann und er prägte zwischen 1860 und 1902 als Gewandhauskapellmeister und Konservatoriumslehrer das Leipziger und damit das deutsche Musikleben.
Mit Äußerungen wie: „Ich würde nicht dagegen opponieren, wenn man mich einen Epigonen nennt“, bezog Reinecke nicht nur eindeutig Position, sondern stellte sein Licht als Komponist durchaus unter den Scheffel: Christiane Wiesenfeldt, Herausgeberin der vorliegenden Edition von Reineckes Cellosonaten, verweist auf die spezifische Fähigkeit des Komponisten, korrespondierende Motive als Repräsentanten von Melodie und Begleitung gleichsam spielerisch miteinander abwechseln zu lassen – eine Technik, die „zwar traditionelle Wurzeln, aber keine konkreten Vorbilder hat“. Hierin und nicht minder in der unerschöpflichen melodischen Erfindungsgabe dieses produktiven Komponisten liegen die besonderen Qualitäten der Sonaten, deren erstmalige Urtext-Publikation nicht nur mit Blick auf das schmale Cello-Repertoire, sondern auch aufgrund ihres hohen künstlerischen Werts freudig zu begrüßen ist.
Die technischen Anforderungen des Celloparts sind überschaubar: Nur an wenigen Stellen ist die Anwendung der Daumenlage erforderlich, Doppelgriffe und Akkorde erscheinen lediglich in den Schlusstakten der 2. und 3. Sonate. Zweifellos zielte Reinecke mit Werken wie diesen auch auf die Klientel der Hausmusik-Treibenden, eine allzu virtuose Gestaltung der Cellostimme hätte potenzielle Kunden abgeschreckt.
Der Klavierpart hingegen präsentiert sich bisweilen knifflig, er setzt auf professionelles Können und überdies auf die Bereitschaft, gegenüber dem häufig in tiefer und mittlerer Lage geführten Cello Zurückhaltung in punkto Dynamik zu üben. Die Klavierdiktion lässt keinen Zweifel daran, dass es sich hier – und nicht anders lautet die Originalbezeichnung der Werke – um Sonaten für Pianoforte und Violoncello handelt.
Manuel Fischer-Dieskau und Peter Roggenkamp liefern in ihren Anmerkungen und editorischen Ergänzungen aus cellistischer und pianistischer Sicht wertvolle Beiträge zu dieser gelungenen Ausgabe.
Gerhard Anders