Schindler, Peter

Schockorange oder der Traum vom Gewinnerrhythmus

Ein Rhythmical in zwei Akten, Klavierpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Carus, Stuttgart 2012
erschienen in: üben & musizieren 1/2013 , Seite 58

Wäre das nicht schön? Die Müllmänner und ihr Anführer Rocco sind in orangefarbenen Overalls bei der Arbeit in bester Laune, sie singen und tanzen: „Wir putzen mit Vergnügen, yeah, yeah, yeah!“ Der Finanzprofi Millionski ist total unter Druck, hat zu viel zu tun, seine Bilanzen sind schlecht: „Stress, Stress, Stress! Ich vergess dabei zu leben!“ In Seelennot begegnet er den Gute-Laune-Putzern und bewundert Rocco, der in seiner Arbeit aufblüht.
So tauschen die beiden eben mal kurz ihre Tätigkeitsfelder: Millionski geht in Reiniger-Kur und Rocco macht den Gutfühl-­Finanzjongleur. Müll beseitigen muss wie Krisen wegfegen sein. Der Zufall sorgt bei Roccos Finanzgeschäften für Profite. Er erwischt stets den richtigen Rhythmus. Ja, sein Rhythmusgefühl holt die ganze Branche aus ihrem tiefen Tal! „Mit Moos läuft’s virtuos!“, so geht es eine Weile gut. Das System Orange, der ­Gewinnerrhythmus von Rocco, stürzt am Ende aber doch in den vollen Crash. Macht nichts, Rocco wird halt wieder Abfallbesei­tiger. Und dort findet Millionski sogar noch die große Liebe: seine Ex-Sekretärin! Ach wie schön. Oder doch nicht?
Der Plot (Babette Dieterich und Peter Schindler) ist in seinem Grundansatz etwas verquer: Da wird so getan, als ließe sich Dreck in einer Großstadt nebenbei beseitigen, und diese Tätigkeit mache glücklich. Meiner Erfahrung mit Berliner Müllmännern entspricht das nicht! Es wird impliziert, alle Millionäre seien zutiefst getriebene Leute, Geld mache automatisch unglücklich. Damit habe ich leider keine Erfahrung. Eine Verneigung vor den orangefarbenen Reinigern der Stadt Berlin soll das sein, vor jenen, die sich täglich mühen und sich über lediglich 2100 Euro brutto für ihren stinkenden Knochenjob gewiss erst recht ärgern, weil ihre oberste Chefin 30000 kassiert. Ja, Reinhard Mey huldigte schon 1984 mit einem Blues gut gelaunten Müllmännern und Beppo der Straßenkehrer ist uns höchst sympathisch. Träumen soll erlaubt sein!
Nun ein Wort zu Schindlers Mainstream-Musik in guter Qualität: Er beherrscht die Genres bestens. Von Disco-Beat bis Reggae, von Rap bis Funky-Feeling peppen die Songs, sind zündend, gut harmonisiert, relativ leicht zu singen. Die Option zur Dreistimmigkeit im Chor der wichtigen Randfiguren lässt den Raum nach oben offen. Die aufführungspraktischen Vorschläge erlauben vieles. Von einer kompletten Combo mit Bläsersatz bis zur Klavier-Schlagzeug-Reduktion ist alles statthaft. Das erleichtert Aufführungen und ist praxisnah. Das Stück in zwei Akten ist von begabten Jugendlichen ohne große Probleme sing- und spieltechnisch auf der Bühne und als Band realisierbar.
So manche Schule wird vielleicht zugreifen mögen, gerade wegen des inhaltlichen Bezugs zur Finanzkrise. Ganz falsch ist das sicher nicht. Eine echte Revolution sieht mit Verlaub dennoch wahrlich anders aus!
Gerhard Scherer