Kummer, Friedrich August
Schubert-Lieder
25 Transkriptionen für Violoncello und Klavier op. 117b, hg. von Wolfgang Birtel, 2 Bände
Wovon Cellisten träumen: einen Tag zu Gast sein im Orchestergraben der Dresdner Hofoper um 1845. Am 1. Cellopult der “alte” Dotzauer, irgendwo in der Gruppe Friedrich August Kummer, am Dirigentenpult der Heißsporn Richard Wagner. Vermutlich haben die Herren Cellisten gelegentlich geflucht über die vertrackten Passagen des Holländer oder Tannhäuser und sich nach gemütlicheren Zeiten zurückgesehnt. In den wunderbaren Celloduetten des erwähnten Tuttisten Kummer schwingt vieles von der Atmosphäre dieser unvergleichlichen Zeit mit. Noch heute profitieren wir Cellolehrer von diesem Fundus maßgeschneiderter Cellomusik und stellen beglückt fest, dass sich auch unter unseren SchülerInnen immer wieder einige finden, die Kummer mit dem Prädikat “cool” versehen.
In der vorliegenden Publikation lernen wir Kummer – der übrigens 1852 Dotzauer beerbte und selbst Solocellist wurde – als Bearbeiter kennen. Unter dem Originaltitel 25 Transcriptionen beliebter Lieder von Franz Schubert erschienen seine Arrangements um 1860 beim Hamburger Verlag August Cranz in mehreren Heften. Wolfgang Birtel, Herausgeber der Neuedition, legt im Vorwort dar, dass es einiger Recherche-Arbeit bedurfte, um die nurmehr verstreut erhaltenen alten Ausgaben in ein neues Gewand zu kleiden. Nicht von allen Heften ist beispielsweise die Original-Cellostimme noch greifbar. Dort, wo auf sie zurückgegriffen werden konnte, wurden auch Kummers Fingersatzbezeichnungen in die Neuausgabe übernommen. Fehler oder Uneinheitlichkeiten in punkto Phrasierung und Dynamik wurden vom Herausgeber korrigiert, in Zweifelsfällen immer im Rückgriff auf die Schubert’schen Originale.
Transkriptionen sind für heutige “User” eine entrückte Kategorie. Im 19. Jahrhundert gehörten sie zu den Unverzichtbarkeiten des musikalischen Lebens. Interessierten sollte die Möglichkeit gegeben werden, sich mit Repertoirewerken vertraut zu machen, und Virtuosen aller Art nutzten die Konjunktur, um “sich mit aufgehübschten Arrangements ins rechte Licht zu rücken” (Birtel). Kummers Schubert-Adaptionen gehören zur ersteren Kategorie. Sie zielen aufs häusliche Musizieren, die Celloparts sind allesamt für fortgeschrittene Amateure gut spielbar, der untere Lagenbereich wird lediglich ein Mal im Lied Des Müllers Blumen für eine kantable Daumen-Passage verlassen. Der Schubert’ sche Klaviersatz blieb nahezu unangetastet, allerdings finden sich hier und da sehr charmant hinzukomponierte Eingangs- und Schlusspassagen oder variierte Wiederholungen aus der Feder Kummers.
Brauchen wir heute noch Arrangements Schubert’scher Lieder? Natürlich nicht, doch spricht dies nicht im Geringsten gegen diese Publikation, denn zum einen klingt Schuberts Melodik herrlich auf dem Cello, und zum anderen mag der eine oder andere Schüler, der Kummer “cool” findet, vielleicht auf diesem Weg Schubert für sich entdecken.
Gerhard Anders