Busch, Barbara
#SchuleNeuDenken: mehr Musik!
Gespräch mit Christian Höppner über ein notwendiges Umdenken in Bezug auf das Schulfach Musik
Mit der Veröffentlichung des Positionspapiers „#SchuleNeuDenken: mehr Musik!“ zeigt der Deutsche Musikrat in fünf zentralen Feldern Wege für eine bessere musikalische Bildung auf. Barbara Busch sprach mit Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats und Kulturratspräsident.
Lieber Herr Höppner, im März hat das Präsidium des Deutschen Musikrats die Stellungnahme „#SchuleNeuDenken: mehr Musik!“ verabschiedet.1 Wie lassen sich die Kerngedanken umreißen?
Die Bildungspyramide vom Kopf auf die Füße zu stellen. Die Füße, sprich das Fundament, sind die künstlerischen Schulfächer und hier insbesondere die Musik, die den Menschen in einer unvergleichlichen Breite und Tiefe mit allen Sinnen erfasst. Die Musik in ihrer eigenfachlichen Vermittlung für alle Schularten und Jahrgangsstufen einerseits verbindlich im Fächerkanon zu verankern und andererseits die Zusammenhänge zu geistes- wie naturwissenschaftlichen Fächern zu eröffnen, ist das Kernziel der Offensive #SchuleNeuDenken: mehr Musik!, die der Deutsche Musikrat mit der Veröffentlichung der Stellungnahme gestartet hat. Wir brauchen eine Bewusstseinsschärfung für den Wert der kulturellen Bildung im schulischen Kontext, um die grundlegenden Stellschrauben für eine bessere musikalische Bildung zu identifizieren.
In fünf Punkten wurden die wichtigsten Handlungsfelder in den verschiedenen ineinandergreifenden Bereichen der Bildungslandschaft identifiziert und klar benannt: von der vorschulischen musikalischen Bildung und der Bildung an den allgemeinbildenden Schulen über Bildungskooperationen bis hin zum Hochschulbereich. Dazu kommt die Notwendigkeit, Best-Practice-Beispiele sichtbar zu machen und ein kontinuierliches Monitoring der musikalischen Bildungslandschaft zu etablieren. Bei allen diesen Bereichen muss man sich fragen: Wie können sie in die Lage versetzt werden, zu einer möglichst qualifizierten und kontinuierlichen musikalischen Bildung noch wirksamer beizutragen? Denn es scheitert weder am Wissen um die aktuellen Defizite der musikalischen Bildung noch am Willen derjenigen, die in Kindertagesstätten oder Schulen den Kindern und Jugendlichen die Welt der Musik nahebringen – es scheitert im Moment an den Rahmenbedingungen. Die Bildungspolitik hat in fahrlässiger Weise über Jahre versäumt, dem Fachkräftemangel entgegenzusteuern.
Der Deutsche Musikrat spricht sich für eine „bessere musikalische Bildung“ aus. Das könnte von all jenen, die seit Jahren engagiert qualitativ hochwertige musikalische Bildungsangebote gestalten, als Affront verstanden werden. Was genau ist mit „besser“ gemeint?
Ganz viel Positives passiert bereits im Musikunterricht, es gibt tolle Beispiele von Musikgymnasien, aber auch von anderen Schulen – auch im Kooperationsbereich. Ohne das Engagement derjenigen, die im Bildungsbereich aktiv sind, wäre das Musikleben ungleich ärmer. Wenn der Deutsche Musikrat eine bessere musikalische Bildung fordert, meint er damit insbesondere eine bundesweit kontinuierliche und qualifiziert stattfindende musikalische Bildung. Doch genau in diesem Punkt gibt es riesige Defizite, wie die Studie „Musikunterricht in der Grundschule – Aktuelle Situation und Perspektive“ aufgezeigt hat, die der Deutsche Musikrat gemeinsam mit der Konferenz der Landesmusikräte und der Bertelsmann Stiftung initiiert und 2020 veröffentlicht hat.2 Deutschlandweit wird der Musikunterricht viel zu oft fachfremd erteilt, es fehlten damals bereits 23000 ausgebildete Musiklehrerinnen und Musiklehrer an deutschen Grundschulen – und das war vor der Corona-Zeit! Die Studie war und ist ein Weckruf, vor allem für die Kultusministerkonferenz.
Stellungnahmen sind so geduldig wie Papier. Was ist von Seiten des Deutschen Musikrats geplant, damit die Stellungnahme nicht nur gelesen und bestenfalls diskutiert wird, sondern damit im intendierten Sinne tatsächlich gehandelt wird?
Der Deutsche Musikrat als Dachverband des Musiklebens ist vor allem als Politikberater, Vernetzer und Multiplikator für dieses Thema engagiert. Es geht jetzt darum, die Stellungnahme bekannt zu machen und für die Bedeutung der musikalischen Bildung zu sensibilisieren. Das sind dicke Bretter, an denen der Deutsche Musikrat schon lange bohrt. Aber ich erlebe im Moment gesellschaftlich wie politisch eine große Offenheit für das Thema. Womöglich haben auch die Erfahrungen der Corona-Zeit mit ihrer kulturellen Verarmung, den Erlebnissen von Isolation und Einsamkeit vieler Schülerinnen und Schüler dazu beigetragen. Als Musikrat tragen wir die Diskussion um #SchuleNeuDenken derzeit in unsere über 100 Mitgliedsverbände, initiieren aber auch Gespräche – sowohl bilateral als auch in Form unseres internen Online-Austauschformats „Musikforum“ – mit Expertinnen und Experten sowie politisch Verantwortlichen für den Bildungsbereich.
Wenn die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch abnehmen, ist der Ruf nicht weit, die Stundenzahlen in diesen Fächern auf Kosten des Fachs Musik zu erhöhen. Mit welchen Argumenten treten Sie dieser Hierarchie der Fächer bzw. dieser fatalen Entwicklung gegenüber?
Aussagen wie diese, die in der Öffentlichkeit große Beachtung fanden, stammen zum Teil ausgerechnet von „Bildungsexperten“ wie Olaf Köller, dem aktuellen Vorsitzenden der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz. Solche Einschätzungen sind Gift für die ohnehin schwierige Situation der musikalischen Bildung und zeugen von großer Ignoranz gegenüber der Bedeutung und Wirkung, die künstlerische Fächer wie die Musik auf Kinder und Jugendliche in ihren prägenden Entwicklungsphasen haben können. Wir dürfen die einzelnen Fächer nicht gegeneinander ausspielen! Musikunterricht ermöglicht ästhetisches Erleben und Selbstwirksamkeit und vermittelt fachliche Kompetenzen. Doch darüber hinaus kann die Begegnung mit Musik für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, aber auch für die Entwicklung von sozialen und damit gesellschaftlichen Kompetenzen Wesentliches beitragen. Für die Chancengleichheit und Teilhabe der nachwachsenden Generationen am kulturellen Erbe ist die musikalische Bildung an Schulen ein zentraler Ankerpunkt – und kulturelle Teilhabe fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Selbst wenn „mehr Musik“ für alle Kinder und Jugendlichen politisch gewollt wäre, so dürften entsprechende Initiativen vor Ort oft scheitern, weil künstlerisch-pädagogisch qualifizierte Lehrkräfte fehlen. Wie ist dem massiven Fachkräftemangel zu begegnen?
Die Bildungspolitik muss vom Lamentieren nun ins Tun kommen und dafür auch die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten und institutionellen Voraussetzungen schaffen, etwa den Hochschulbereich so ausstatten, dass hier bedarfsgerecht ausgebildet werden kann – neben der Schulmusik auch für Bereiche wie Elementare Musikpädagogik, Instrumental- und Vokalpädagogik. Die Studiengänge und Forschungsabteilungen müssen ausgebaut werden, damit perspektivisch auch die Anzahl der Musiklehrkräfte in allen Schulformen deutlich angehoben werden kann. Auch auf Lehrkräfte im Quer- und Seiteneinstieg kann die musikalische Bildung aktuell nicht verzichten. Bei entsprechender Nachqualifizierung sind solche oft sehr engagierten Lehrkräfte ein Schlüssel für die Verbesserung der Situation.
Doch langfristig sind es vor allem die qualifizierten Fachlehrkräfte mit Lehramtsstudium Musik und Referendariat, die gewährleisten, dass Deutschland auch in Zukunft ein Land der Musizierenden und Musik-Begeisterten ist. Das Lehramtsstudium ist in seinem Anspruch aus künstlerischer Praxis und Fachlichkeit herausfordernd und einzigartig. #SchuleNeuDenken ist auch eine Offensive, um das Bewusstsein dafür wieder zu wecken, wie großartig das Studium der Schulmusik und der danach folgende Beruf als Musiklehrkraft ist – wenn denn die Rahmenbedingungen stimmen.
1 www.musikrat.de/fileadmin/redaktion/news/03_2023/DMR_Stellungnahme__SchuleNeuDenken_mehr_Musik_.pdf (Stand: 28.6.2023).
2 Lehmann-Wermser, Andreas/Weishaupt, Horst/Konrad, Ute: Musikunterricht in der Grundschule. Aktuelle Situation und Perspektive, www.musikrat.de/fileadmin/redaktion/organisation/Publikationen/DMR_Studie_Musikunterricht_in_der_Grundschule_final.pdf (Stand: 28.6.2023).
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