Myslivecek, Josef
Sechs leichte Sonaten für Clavier
Urtext, hg. von Vojtech Spurný
Josef Myslivecek wurde 1737 in Prag als Sohn eines Müllers geboren. Er spielte seit seiner Kindheit Violine, doch zunächst ohne berufliche Ambitionen. Nach einem abgebrochenen Studium der Philosophie und Literatur trat er 1758 in den elterlichen Mühlenbetrieb ein und erwarb dort 1761 den Meisterbrief.
Bald darauf beschloss er, sich ganz der Musik zu widmen, und nahm Kompositionsunterricht bei Franz Johann Habermann sowie Orgelunterricht bei Josef Seger. Ab 1763 setzte er seine Studien in Venedig bei Giovanni Battista Pescetti fort. In Italien gelang es ihm schnell, sich als vielseitiger Komponist zu etablieren, wobei vor allem seine Opern beliebt waren. Er war mit Padre Giovanni Battista Martini und der Familie Mozart befreundet, unternahm Reisen in verschiedene Länder und war auch als Dirigent aktiv. Später verlor er die Gunst des Publikums, und nach zwei erfolglosen Opern erhielt er keine weiteren Aufträge mehr. Er starb verarmt und weitgehend vergessen 1781 in Rom.
Sein Werkverzeichnis umfasst unter anderem 26 Opern, 56 Sinfonien und zahlreiche Kammermusikwerke für die unterschiedlichsten Besetzungen. In den sechs leichten Sonaten verbinden sich Kürze und technische Einfachheit mit eingängiger Thematik und einem heiteren, spielfreudigen Charakter. Sie bestehen jeweils aus zwei Sätzen und stehen allesamt in Dur. Der erste Satz steht jeweils in Sonatenform; darauf folgt in drei Fällen ein Menuett, zweimal ein Rondo und einmal ein Presto.
Die Sonaten verlangen eine etwas größere Beweglichkeit auf den Tasten als die sechs Sonatinen op. 36 von Clementi und können etwa im Anschluss an diese studiert werden. Vor allem die rechte Hand findet eine Fülle reizvoller Aufgaben vor. Gesangliche Melodien wechseln ab mit schnellem Laufwerk, und es fehlt nicht an fantasievollen Verzierungen. Die linke Hand wird dagegen noch weniger ins motivische Geschehen einbezogen als bei den stilistisch ähnlichen Sonaten von Johann Christian Bach und bleibt auf die harmonische Grundierung beschränkt.
Die Urtext-Ausgabe von Vojtech Spurny ist von gewohnt hoher Bärenreiter-Qualität. Das Vorwort bringt im Anschluss an eine Kurzbiografie des Komponisten einen Abschnitt mit wertvollen Hinweisen zur Aufführungspraxis. Für den Notentext sind – mit Ausnahme der Frühfassung eines einzigen Satzes – keine Autografe überliefert. Grundlage der vorliegenden Ausgabe sind sechs Abschriften, die in verschiedenen Bibliotheken aufbewahrt werden, sowie der Erstdruck von 1784, der jedoch ohne Mitwirkung des Komponisten entstanden ist. Im Kritischen Bericht listet Spurny alle Unterschiede zwischen den verschiedenen Lesarten auf und begründet seine editorischen Entscheidungen. Das schöne Notenbild und das übersichtliche Layout lassen keine Wünsche offen.
Sigrid Naumann