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Böhme, Rebecca

Seelische Gesundheit

Zur Biopsychologie der Resilienz – warum Musizieren gut tut

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2022 , Seite 06

Beinahe jeder Mensch erlebt in seinem Leben etwas potenziell Traumatisches. Der Großteil von uns kann solche Ereignisse jedoch entweder direkt oder über einen längeren Zeitraum hinweg ­verarbeiten, ohne eine psychische oder somatische Folgeerkrankung zu entwickeln. Das bedeutet: Der Großteil der Menschen ist resilient. Doch stellt sich die Frage, wie man selbst stress­resistenter werden und nahestehende Menschen vorbereitend stärken und in ­Krisen­situationen unterstützen kann. Musik könnte hier ein ­wichtiges Hilfsmittel ­darstellen.

Der Begriff Resilienz beschreibt die Fähigkeit eines Systems, nach einer Störung in seinen ursprünglichen Zustand zurückzukehren oder trotz einer Störung seine ursprüngliche Funktion beizubehalten. Dies ist eine äußerst allgemeine Definition; und tatsächlich kann man den Begriff Resilienz in den verschiedensten Bereichen antreffen, von der Materialforschung über die Ökologie zur Soziologie – und natürlich in der Psychologie, wo wir damit die psychische Widerstandskraft beschreiben. Wobei der Ausdruck „Widerstandskraft“ irreführend ist, denn die Forschung zeigt, dass nicht dickköpfiges Entgegenhalten – also nicht ein Widerstand gegen Stress und Trauma – die seelische Gesundheit fördert, sondern sanftere Strategien der Anpassung und Flexibilität.
Zwar fand das Konzept der Resilienz erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts Einzug in die psychologische Forschung, doch die Frage, wie wir mit Schicksalsschlägen und auch den kontinuierlichen Herausforderungen des Alltags umgehen können, ist keine Frage der Moderne, sondern beschäftigte bereits die PhilosophInnen und ÄrztInnen der Antike. Doch was genau Resilienz im psychologischen Zusammenhang bedeutet, ist bislang nicht eindeutig definiert. So kann man mit dem Begriff die gute Entwicklung eines Kindes trotz großer Risiken (zum Beispiel aufgrund eines instabilen Elternhauses) bezeichnen oder die psychische Stabilität angesicht von kontinuierlichem Stress oder auch die erfolgreiche Verarbeitung eines einzelnen traumatischen Erlebnisses.
Und auch in Bezug auf die Frage, wie man Resilienz messen soll, ist sich die Forschung uneinig. „Die gute Entwicklung eines Kindes“ – an welchen objektiven Maßstäben können wir dies festmachen? An guten Noten, an sozialer Eingebundenheit, an einem typischen Lebensweg mit fester Anstellung und Ehe? Oder sind subjektive Maße besser – die eigene Einschätzung von Zufriedenheit, Gesundheit, allgemeinem Wohlergehen? Vor dem Hintergrund dieser offenen Fragen werde ich versuchen, einen Einblick in den aktuellen Stand der Resilienzforschung zu geben.1

Körper und Psyche – eine Einheit

Bevor wir uns in biologische und psychologische Mechanismen der Resilienzbildung vertiefen, wollen wir einem wichtigen Gedanken nachgehen: dem der Verwobenheit von Körper und Psyche. Wer mehr über die Grund­lagen von psychischer Resilienz lernen will, wer verstehen möchte, wie man trotz Krisen und aversiven Erlebnissen eine offene, positive Weltsicht behalten kann, kommt nicht umhin, sich mit den biologischen Grundlagen der Stressreaktion zu beschäftigen. Immer wieder wird in der Forschung zu psychischen Problemen nachgewiesen,2 dass diese entweder mit körperlichen Beschwerden einhergehen oder sogar durch körperliche Prozesse ausgelöst werden. Dies bedeutet nicht, den enormen Einfluss gesellschaftlicher, kultureller und sozialer Faktoren auszuschließen. Es bedeutet lediglich, dass Stress und aversive Ereignisse einerseits die psychische wie auch die körperliche Gesundheit beinträchtigen, und andererseits, dass die Wirkung einer Krise auf den einzelnen Menschen immer auch durch dessen psychischen und körperlichen Gesundheitszustand bestimmt wird. Kurz: Stress, Gesundheit und Psyche interagieren und beeinflussen sich gegenseitig.
Dieses komplexe Zusammenspiel kennt jeder: Wer Stress bei der Arbeit hat, verspannt sich und leidet in Folge unter Rücken- oder Kopfschmerzen, welche wiederum die Stimmung beeinflussen. Die schlechte Stimmung kann dann zu Hause zu einem ärgerlichen Wort dem Partner gegenüber führen und so womöglich einen Streit auslösen, der einem den Appetit und den Schlaf verdirbt, sodass man sich am nächsten Tag wie gerädert fühlt. Doch das Zusammenspiel von Leib und Psyche muss nicht in einer Negativspirale enden, sondern kann auch genau den gegenteiligen Effekt haben: Wer zu Hause von Partner oder Partnerin eine liebevolle Umarmung erhält, kann den Stress leichter abschütteln, denn die zwischenmenschliche Berührung führt zu einem Absinken der Herz- und Atemfrequenz und verringert die im Körper vorhandene Menge des Stresshormons Cortisol.

Was geschieht bei Stress im Körper?

Cortisol ist das wichtigste Stresshormon. Es wird von der Nebenniere ausgeschüttet, wenn diese von der Hypophyse ein Signal bekommt. Die Hypophyse ist eine sehr kleine Struktur im Gehirn, die direkt unter dem Hypothalamus sitzt und von diesem gesteuert wird. Diese drei Hormondrüsen sind gemeinsam für unsere Stressreaktion verantwortlich. Interessant ist, dass die Stressreaktion sich selbst wieder herunterreguliert: Wird Cortisol von der Nebenniere ausgeschüttet, verbreitet es sich im Körper und erreicht auch das Gehirn. Hier wird es von Rezeptoren im Hypothalamus erkannt und dieser verringert dann seine Aktivität. In Folge nimmt auch die Menge an Stresshormonen im Körper wieder ab.

1 vgl. Böhme, Rebecca: Resilienz. Die psychische Widerstandskraft, München 2019.
2 Stefano, George et al.: „Gut, microbiome, and brain regulatory axis: relevance to neurodegenerative and psychiatric disorders“, in: Cellular and molecular neurobiology, 38, 2018, S. 1197-1206; Silberstein, Stephen: „Shared mechanisms and comorbidities in neurologic and psychiatric disorders“, in: Headache: The Journal of Head and Face Pain, 41, 2001, S. 11-18.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2022.