Diendorfer, Christian

Seiten für Saiten

Sechs leichte bis mittelschwere Stücke für Violoncello und Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Doblinger, Wien 2007
erschienen in: üben & musizieren 4/2008 , Seite 60

Nur wenige Gegenwartskomponisten widmen sich der schwierigen Aufgabe, Neue Musik zum Anfassen zu schreiben, will sagen: Brücken zu schlagen von Vokabular und Syntax zeitgenössischer Musik zu deren Realisierbarkeit durch SchülerInnen. Durch ganz „normale“ Schüler, wohlgemerkt, deren musikalisches Arbeitsmaterial nach wie vor zum großen Teil vergangenen Epochen und nur selten der Moderne entstammt. Insbesondere, da die Neue Musik der Millenniumsjahre viel von der Hermetik früherer Jahre abgestreift hat, offener, pluralistischer, spielerischer geworden ist, möchte man Komponisten dazu animieren, dem Beispiel Christian Diendorfers zu folgen, der in Seiten für Saiten verschiedene Stilrichtungen und Techniken moderner Musik zu sechs intelligenten, inspirierenden und vor allem schülergerechten Miniaturen verarbeitet hat.
Dankenswerterweise enthält die Ausgabe ausführliche Informationen darüber, wer Christian Diendorfer ist: 1957 in Wien geboren, studierte er in seiner Heimatstadt bei Francis Burt und Roman Haubenstock-Ramati und tritt seither mit Kammermusik- und Orchesterwerken sowie mit Arbeiten auf den Gebieten Neues Musiktheater, Klanginstallation, Elektronische Musik und, last but not least, Musikpädagogik hervor. Seit 2003 leitet er Jugendprojekte zur Vermittlung und Erarbeitung Neuer Musik, mehrfach war Diendorfer mit Auftragskompositionen bei Preisträgerkonzerten von „Prima la musica“ – dem österreichischen Pendant zu „Jugend musiziert“ – vertreten.
Seiten für Saiten ist ein echter Wurf für experimentierfreudige Mittelstufenschüler, wobei sich diese Einordnung sowohl auf den Cello- als auch auf den Klavierpart bezieht. Lediglich für zwei Takte wird beispielsweise dem Cellisten das Erklimmen der 7. Lage zugemutet. Virtuosität im konventionellen Sinn kommt allenfalls in Cellatine, dem zweiten Stück der Sammlung, zur Geltung, Groove und Synkopenfeeling hingegen werden in Pizz! (Nr. 6) abgeprüft. Tanz im All (Nr. 1) präsentiert sich nach ruhigem Beginn als überdrehter Walzer, der im Nirwana unbestimmter Flageoletttöne und stumm niedergedrückter Klaviertasten endet.
Ein schlichtes Lullaby (Nr. 4) trennt jene beiden Stücke, in denen Diendorfer seinen InterpretInnen Streifzüge durch die Klang- und Notationswelt Neuer Musik ermöglicht: In Gong Song (Nr. 3) und Improvisierter Vulkan (Nr. 5) finden sich so gut wie keine metrischen Takteinteilungen, dafür Andeutungsnotationen, mit deren Hilfe im Cellopart klangliche Veränderungen auf langen Tönen, Flageolett-„Flimmern“, Spielen hinter dem Steg, repetitive Tonfolgen teils improvisatorisch erkundet werden sollen. Zugleich darf der Pianist unter anderem einen bestimmten Klavierton mittels Schraube zum Gong umfunktionieren (Cage lässt grüßen!) und aus fünf Zentimetern Höhe einen Tennisball auf die tiefen Saiten fallen lassen. Da sage noch einer, Neue Musik sei eine freudlose Angelegenheit!
Gerhard Anders