Sturm, Martin

Singen auf den ersten Blick

Ein Übungsbuch zum ­Notenlesen, mit CD

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2012
erschienen in: üben & musizieren 5/2012 , Seite 60

Wie würde sich wohl jeder Chorleiter landauf, landab freuen, wenn alle seine Choristinnen und Choristen sich anhand eines Lehrbuchs zu passablen Blattsängerinnen und Blattsängern entwickeln würden! Martin Sturm versucht hier anzusetzen und hat mit diesem Übungsbuch Material in fortschreitendem Schwie­rigkeitsgrad zusammengestellt und mit ausführlichen Kommentaren und Lernhilfen versehen. Stilistisch geht es dabei nicht über die Diatonik mit gelegentlich chromatischen Durchgängen bzw. diatonischen Modulationen hinaus, wie sie auch in Volksliedern anzutreffen sind.
Es werden von vorneherein wech­selnde Tonarten benutzt, um das Lesen und Hören von Beginn an nicht an ein vermeintlich leichtes C-Dur zu gewöhnen. So beginnt etwa das erste Beispiel in B-Dur. Dahinter verbirgt sich die gut ver­standene Praxis der relativen Sol­misation, die von Grundgestalten der Intervalle ausgeht, die sich dann nach gesicherter Gehörsdisposition auf jede Tonart übertragen lassen und vor allem in jeder Tonart erkannt werden.
Neben den melodischen Kompetenzen wird dem Parameter Rhythmus ein hoher Stellenwert eingeräumt: Meistens beginnen die Übungen mit dem Erfassen der rhythmischen Strukturen. Die jeweils erlernten Melodie- und Rhythmusbausteine werden  immer in melodischen Phrasen zusammengefasst, also musikalisch sinnvoll kombiniert.
Wie kann sich nun aber ein Laie, der unter Umständen kein Klavier oder ein anderes instrumentales Hilfsmittel zur Verfügung hat, kontrollieren? Hierzu dient die beigefügte CD, die jeweils Anstimmtöne, das benutzte Tonmaterial der jeweiligen Übungen und natürlich eine Kontrollaufnahme bereithält. Die Kontroll­aufnahmen sind ebenfalls von Laien gesungen, um, wie Sturm schreibt, „zu zeigen, wie die Übungen realistischerweise klingen könnten. Diese Beispiele stehen mit anderen Worten nicht für stimmliche Perfektion, sondern für gelebte Praxis.“ Ein psychologisch einfühlsames Konzept.
Insgesamt ist dieses Heft eine gut aufbereitete Musiklehre, die aber nicht abstrakt vorgeht, sondern immer im Selbsttun ihren Bezugspunkt hat. Damit knüpft diese Vorgehensweise an die Solfège-Praxis in den romanischen Ländern an, verknüpft diese aber mit den Prinzipen des ­relativen Solmisierens, einer Methode, die in der vielfältigen, neu aufgeblühten Singlandschaft von Kindergarten und Grundschule bis hinein in den Anfangsinstrumentalunterricht der Musikschulen eine immer größere Rolle zu spielen beginnt.
Nicht verschwiegen werden sollte, dass Erfolge sich nur bei sehr geduldiger und konsequenter Eigenarbeit mit Buch und CD einstellen werden. Dabei könnte sich der anfangs zitierte Chorleiter sinnvoll beteiligen, indem er von seiner wöchentlichen Probenarbeit ein Viertelstündchen dem musiktheoretischen Repetitorium widmet und so seine zuhause im Selbststudium übenden Chormitglieder nachhaltig positiv stärkt.
Thomas Holland-Moritz