Stahmer, Friederike

Singen in der Gemein­schaft

Einblicke in die Ausbildung von Kinder- und Jugendchor­leiterInnen an der Musikhochschule Hannover

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2014 , Seite 24

Kinder- und Jugendchöre sind künstlerisch und methodisch keine halben Erwachsenenchöre, sondern anspruchsvolle Klangkörper, deren Leitung einen hohen Grad an Pro­fes­sionalität erfordert, um der notwendigen Nachhaltigkeit in der musikalischen Arbeit und der Verantwortung gegenüber der Entwicklung junger Menschen gerecht zu werden. Herausragende ChorleiterInnen auszubilden, die diesen Ansprüchen gerecht werden können und wollen, ist die Zielsetzung des Masterstudiengangs “Kinder- und Jugendchorleitung” an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover.

Erfreulicherweise erlebt das Singen derzeit eine Renaissance. Davon profitieren insbesondere Kinder- und Jugendchöre. Die Nachfrage nach Angeboten steigt seit einigen Jahren kontinuierlich. Wie viele Kinder und Jugendliche heutzutage bereits in Chören singen, lässt sich schwer ermitteln. Alleine im Deutschen Chorverband und seinen Unterverbänden sind heute rund 3500 Kinder- und Jugendchöre organisiert, was etwa 100000 SängerInnen entspricht.1 Mit der Einrichtung von speziellen Studiengängen, zahlreichen Qualifizierungsmaßnahmen und Zertifikaten wird einem Professionalisierungsanspruch gerade in diesem Bereich Rechnung getragen. Die Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover hat auf diese Situation 2008 mit der Einrichtung des bundesweit ersten Masterstudiengangs für Kinder- und Jugendchorleitung reagiert.
Die neue Aufbruchstimmung kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zum gemeinsamen Singen heute schwieriger sind denn je. Viele Kinder und Jugendliche stehen den Erwachsenen in Bezug auf volle Terminkalender kaum mehr nach. Die Schule nimmt zeitlich und inhaltlich einen immer größeren Raum in ihrem Leben ein. Unüberschaubare Medien- und Konsumangebote überfordern und übersättigen mit äußeren Eindrücken. Immer mehr Kinder und Jugendliche kämpfen bereits mit Symptomen wie Hyperaktivität, Nervosität oder Depressionen.
Aus dieser Situation heraus ergeben sich immer neue, nicht leicht zu bewältigende Anforderungen an Kinder- und Jugendchöre und ihre LeiterInnen. Aber gerade in einem solchen gesellschaftlichen Szenario kann das Singen – insbesondere das Singen in der Gemeinschaft eines Chores – auch Möglichkeiten bieten, Stress zu bewältigen, einen Raum der Geborgenheit zu schaffen, eine Gegenwelt zur Schule und den allgegenwärtigen virtuellen Welten zu errichten.
Auch sind wir dem friedensstiftenden Moment von Kultur verpflichtet. Die Förderung des Singens ist ein Anfang. Gemeinsames Singen darf schon alleine deshalb nicht in Vergessenheit geraten, da gerade kulturelle Bildung Grenzen der Länder, der gesellschaftlichen Herkunft und der Generationen zu überwinden vermag. Daniel Barenboim fragte im Zeit-Interview,2 warum eigentlich nicht alle Kinder in der Schule Musik lernen, wie sie auch Mathematik, Geografie oder Französisch lernen. Durch Musik „Hören“ und „Zuhören“ zu lernen, sieht er als wichtiges Ausbildungsziel unseres Bildungssystems!
Nicht nur fachlich kompetente, sondern achtsame Lehrende auszubilden, die sich auch diesen pädagogischen und gesellschaftlichen Anforderungen gewachsen fühlen, ist ein hoher Anspruch, dem die Hoch­schulen verpflichtet sind. Die Ausbildung im Masterstudiengang „Kinder- und Jugendchorleitung“ in Hannover folgt diesem Anspruch durch verschiedene Bausteine, welche im Folgenden dargestellt werden.

1 vgl. www.deutsche-chorjugend.de/wir-ueber-uns/ (Stand: 30.1.2014).
2 vgl. Jörg Lau/Christine Lemke-Matwey: „,Das kann man nur menschlich lösen‘. Interview mit Daniel Barenboim“, in: Die Zeit, 13/2012, S. 51.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2014.