Strohl, Rita

Solitude

für Violoncello/Violine und Klavier, hg. von Wolfgang Birtel

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Ponticello Edition, Mainz 2024
erschienen in: üben & musizieren 4/2025 , Seite 63

Ihren Geburtsnamen Marguerite La Rousse la Villette änderte sie nach der Heirat mit dem Offizier Émile Strohl, in der selbstgewählten Kurzform ihres Vornamens liegt wohl ein frühes Bekenntnis zur Musikkultur des östlichen Nachbarlandes: Rita Strohl (1865-1941) war Wagnerianerin. Bereits dreizehnjährig erhielt sie Unterricht am Pariser Conservatoire. Ihr Talent scheint in diesen frühen Jahren ebenso viel Aufmerksamkeit erregt zu haben wie ihr Streben nach künstlerischer Unabhängigkeit. Berühmtheiten wie Saint-Saëns und Fauré schätzten ihre Lied- und Kammermusik-Kompositionen. Sehr erfolgreich war die Aufführung ihres Vokalzyklus Bilitis im Jahr 1898.
Strohls Wagnerismus steigerte sich unter dem Einfluss ihres zweiten Ehemanns René Billa: Im Umland von Paris gestaltete das Ehepaar eine alte Scheune zum Festspieltheater – mehr noch: zur theosophisch umwölkten Weihestätte – um. Nichts Geringeres als ein „Petit Bayreuth“ sollte entstehen. Rita Strohl widmete ihr Talent nun zunehmend mystischer Musikdramatik. Es entstanden großdimensionierte Werke: der Zyklus Le suprême Puruscha, Le Déclin de la Tour d’Ivoire, die Opern Hindu und Celtic. Indes: Das „kleine Bayreuth“ überlebte nicht. Leidend und depressiv zog sich Rita Strohl nach Südfrankreich zurück, komponierte nur mehr wenig, nach dem Zweiten Weltkrieg geriet ihre Musik nahezu völlig in Vergessenheit.
Derzeit vollzieht sich editorisch ein Revival. Viele Werke Strohls sind in neuen Ausgaben greifbar, darunter die 1887 entstandene, gefühlsintensive Pièce Solitude, die 1897 mit dem Untertitel „Réverie“ beim Pariser Verlag Enoch & Cie publiziert wurde. Die von Wolfgang Birtel edierte Version des Verlags Ponticello gibt den Erstdruck wieder.
Unter der Spielanweisung „Doux avec un grand sentiment de tristesse“ entfaltet sich eine von edler Melancholie geprägte kan­table Linie des Soloinstruments, vom Klavier dezent begleitet in Schubert’schem Gestus: sanfte akkordische Triolen in der rechten Hand, glockenhaft grundierende Bässe in der linken Hand. Im „Più agitato“-Mittelteil verlässt das Klavier seine reine Begleitfunktion und sekundiert melodieführend das Streichinstrument. Es entwickelt sich ein leidenschaftlicher Dialog. Das Cello erreicht hier mit f” seinen höchsten Ton. Es folgt eine variierte Wiederholung des Anfangsteils, der in die kadenzierende Akkordfolge B-Dur, g-Moll, d-Moll mündet.
Ebenso wie die Erstausgabe enthält auch die Neuedition eine Alternativversion für Violine. Das Werk stellt streicherisch keine allzu hohen technischen Ansprüche: Der Cellopart steigt nur zwei Mal für wenige Töne in den Bereich der Daumenlage empor. Aufgrund der identischen Tonart (d-Moll) gestaltet sich der Geigenpart verhältnismäßig noch leichter. Für den Klavierpart braucht es den geübten Zugriff romantischer Liedbegleitungen. Eine in jeder Hinsicht gelungene „Pièce characteristique“!
Gerhard Anders

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