Kapustin, Nikolai

Sonata op. 69

für Viola und Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2018
erschienen in: üben & musizieren 6/2018 , Seite 56

Die Musik des ukrainischen Kom­ponisten Nikolai Kapustin (geboren 1937) ist in ihrem Ansatz ziemlich einzigartig: Als Pianist sowohl im sinfonischen Bereich als auch in diversen Jazz-Formationen der ehemaligen Sowjetunion tätig, entwickelte Kapustin seit den 1970er Jahren zunehmend eine Synthese aus klassischen Strukturen und Jazz-Elementen, die nicht nur als exo­tische Farbe der traditionellen Formen fungieren, sondern mit diesen (etwa analog zu Bartóks Umgang mit der ungarischen Volksmusik) untrennbar zu einer eigenen, selbstständigen Sprache verschmelzen.
Die Violasonate op. 69, 1992 gemeinsam mit einem Schwesterwerk für Violine entstanden und eine der ersten Kammermusikkompositionen Kapustins, ist ein gutes Beispiel für diesen ebenso originellen wie ungewöhnlichen Stil. Formal folgt sie vollständig klassischen Vorbildern: Am Anfang steht ein Sonatensatz-Alleg­ro mit drei Themenkomplexen und umgestellter Reprise, gefolgt von einer ausgreifenden Largo-Kantilene mit kontrastierendem Mittelteil und einem wild galoppierenden „Finale furioso“ als Abschluss. Rhythmik, Harmonik und Themenbildung sind dagegen weitgehend von Jazz-Idiomatik geprägt, ohne dabei den Charakter einer streng durchkomponierten klassischen Sonate aufzugeben. Das Ergebnis – gerade durch die Verwendung der Bratsche mag die Assoziation erlaubt sein – erinnert an eine Art „swinging Hindemith“ von überraschender klang­licher Eigenständigkeit und innerer musikalischer Logik.
Das etwa 16-minütige Stück, vor drei Jahren bereits in einer Einspielung mit Eliesha Nelson auf CD veröffentlicht, wird von Schott nun zum ersten Mal in einer „authorized version“ als Notendruck zugänglich gemacht. Die Ausgabe ist vorbildlich gesetzt, insbesondere die zahlreichen Vorzeichen lassen sich problemlos lesen, und auch die bisweilen vertrackten rhythmischen Ver­schiebungen sind visuell schnell und gut zu erfassen. Solo- und Klavierpart stimmen bis ins letzte Detail überein, und auch an praktikable Wendestellen wurde gedacht (sofern es nicht, wie beim Klavier, ohnehin keine Pausen gibt).
Leicht zu spielen ist die Sonate aber trotzdem nicht: Obwohl das Notenbild zunächst zumindest keine exorbitanten Schwierigkeiten suggeriert, liegen die verwendeten unorthodoxen Skalen dann doch häufig ziemlich quer zum üblichen Fingersatz und benötigen deshalb am Ende deutlich mehr Übezeit als vermutet. Nicht zuletzt bilden auch die angegebenen Tempi eine echte Herausforderung: Ist schon der erste Satz mit Viertel = 138 mindestens „sportlich“, so wird spätestens im rasanten Finale (mit geforderten Viertel = 144) auch manch gestandener Profi an seine technischen Grenzen geraten. Trotzdem ein tolles Stück, das den Aufwand lohnt und beim Pub­­likum garantierten Effekt macht. Es ist übrigens auch als (preiswertere) Download-Ausgabe erhältlich.
Joachim Schwarz