Eccles, Henry

Sonate in g-Moll

für Violoncello, hg. von Christoph Sassmannshaus

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2019
erschienen in: üben & musizieren 5/2019 , Seite 66

Im Jahr 1720 erschien in Paris eine Serie von zwölf Violinsonaten aus der Feder eines gewissen „Monsieur Eccles Anglois“. Über diesen Henry Eccles ist wenig bekannt, und auch „seine“ Violinsonaten erwiesen sich bei genauem ­Hinsehen als Sammelsurium mit zahlreichen Anleihen aus Valentinis Allettamenti op. 8. Nur die 11. Sonate in g-Moll scheint größtenteils von Eccles zu stammen, ihr zweiter Satz Courante geht allerdings zurück auf Bonportis Invenzioni da Camera op. 10.
Seit dem frühen 20. Jahrhundert wurde diese Patchwork-Sonate zum Gegenstand romantisierender Bearbeitungen für alle Streichinstrumente und errang vor allem bei Cellisten dauerhafte Beliebtheit. Vermutlich hat ­allein die ­Eröffnungsgeste, ein „melancholischer“ Sextsprung mit anschließender Abwärtsbewegung, die Seelen eines Julius Klengel und anderer Bearbeiter für sich ­eingenommen.
In ihrer Abfolge kantabler und virtuoser Sätze – auf das Präludium folgen Courante, Sarabande und Gigue – erweist sich die Sonate in diesen Versionen als attraktive, dankbar zu übende Adaption eines barocken Originalwerks im Geist der Spätromantik.
Problematisch wird es, wenn im Jahr 2019 dieses Werk ohne weitere Informationen als Barocksonate aufgelegt wird. Gewiss: Von Urtext ist nicht die Rede, es muss keine Klage gegen Etikettenschwindel geführt werden. Aber der Herausgeber Christoph Sassmannshaus – Enkel des Pädagogen Egon und Sohn von Kurt Sassmannshaus – verweist im Vorwort auf Bach, Vivaldi und die höfischen Tänze und schlägt andererseits eine Brücke zum intendierten Übe-Resultat, was einiges über seinen stilistischen Standort verrät. Die Eccles-Sonate erfordere, so Sassmannshaus, „Spiccato sowie Martelé (!) mit Saitenwechseln“ und Lagenwechsel bis in die Daumenlage. Diese Techniken ermöglichten es dem Schüler, „sich auf anspruchsvollere Werke […] vorzubereiten“.
Aus diesen Zeilen spricht ein gerüttelt Maß altbackener Streichermentalität: Man spiele Barockmusik mit Handwerkszeug des 19. Jahrhunderts und nutze diese Literatur zugleich ihrem wahren Zweck gemäß zur Vorbereitung auf „richtige“ (= romantische) Musik. Ohne Zweifel ist avancierte Technik vonnöten, um die Eccles-Sonate in allen Belangen – bis hin zu schnellen Akkordwechseln in der Courante und einer kniffligen Daumen-Passage in der Gigue – zu bewältigen. Doch warum muss man ­zunächst der Suggestion auf den Leim gehen, es handele sich hier um Barockmusik. Um nicht missverstanden zu werden: Das Stück ist auch in dieser Form nicht unattraktiv, ja: Es macht sogar Spaß! Seine Darreichungsform in dieser Neuausgabe indes ist höchst irreführend.
Übrigens: Sassmannshaus’ Edition entspricht bis auf winzige Veränderungen der Version des Cellisten Ernst Cahnbley (1875-1936), die noch heute bei Schott erhältlich ist.
Gerhard Anders