Graaf, Tonnie de

Sonate No. 4

für Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Inventio, Berlin 2009
erschienen in: üben & musizieren 5/2010 , Seite 60

Der holländische Komponist Tonnie de Graaf (1926-1996) ist hierzulande wenig bekannt, obwohl er den größten Teil seines Lebens in Deutschland gelebt hat. Der Inventio Verlag hat sich jetzt die verdienstvolle Aufgabe gestellt, von den zwölf Klaviersonaten des Komponisten die zehn bisher nicht veröffentlichten herauszugeben. Die vorliegende 4. Sonate op. 7 wurde 1955 geschrieben, aber erst im Jahr 2007 uraufgeführt.
Diese späte Aufführung verwundert etwas, denn das dreisätzige Stück ist mit seiner klaren Sprache, einer Spieldauer von gut zwölf Minuten und überschaubaren technischen Anforderungen durchaus eine dankbare Aufgabe für einigermaßen fortgeschrittene SpielerInnen. Lediglich im zweiten Satz gibt es Akkorde mit Nonengriffen im schnellen Tempo zu spielen, die kleine Hände wohl zu Notlösungen zwingen.
Zwei langsame Sätze (Largo und Adagio) umrahmen einen schnellen Mittelsatz (Allegro vivace), in dem die Bewegung aber nochmal durch einen Lento-Teil unterbrochen wird. Diese Konzeption deutet schon auf den ernsten, teils nachdenklichen, teils dramatischen Charakter des Stücks. Harmonisch dominieren Quart-Quint-Akkorde. Satztechnisch gibt es in allen drei Sätzen verschiedene Arten von Ostinati, die sich mit polyfonen bis hin zu kanonischen Episoden abwechseln.
Der erste und zweite Satz sind thematisch sehr eng miteinander verbunden. Das Thema des zweiten Satzes wird im ersten schon vorgebildet, wo es in verschiedenen rhythmischen Varianten den gesamten Satz bestimmt. Außerdem gibt es in beiden Sätzen ein charakteristisches, signalartig repetierendes Triolenmotiv, das im zweiten Satz dann aber leiser und verhaltener erklingt. Aus solchen Beobachtungen kann man erkennen, dass das Stück sehr sorgfältig gearbeitet ist und die dramaturgische Entwicklung durch alle Sätze hindurchgeht, wobei der Schwerpunkt im dritten Satz liegt, der auch der umfangreichste und komplexeste ist. Hier finden sich vielfältige Bezugspunkte zu den vorangegangenen Sätzen in stärker verarbeiteter Form.
Das Notenbild ist sehr klar, Dynamik und Artikulation sind ausführlich bezeichnet, das Tempo wird über Metronomzahlen und Angaben der Dauer bestimmt. Fingersätze gibt es nicht, kurze biografische Angaben zum Komponisten ergänzen aber die Ausgabe.
Man kann PianistInnen nur ermuntern, sich einmal solcher Musik anzunehmen, die aus einer Zeit stammt, als die Nachwirkungen des Krieges äußerlich und innerlich bei vielen Menschen noch nicht überwunden waren. Auch der berufliche Werdegang von Tonnie de Graaf war davon beeinflusst, was möglicherweise einen größeren Wirkungskreis des Komponisten verhindert hat.
Linde Großmann