Gieseking, Walter

Sonatine

für Flöte und Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott/Johannes Oertel Verlag, Mainz 2022
erschienen in: üben & musizieren 6/2022 , Seite 61

Walter Gieseking (1895-1956) komponierte zwei Werke für Flöte und Klavier: die hier besprochene Sonatine und die Grieg-Variationen. Sie wurden beide neu verlegt und sind wunderbar anspruchs- und ausdrucksvoll. Es gibt sie in Aufnahmen mit Walter Gieseking am Klavier, zu hören bei YouTube.
Die Neuausgabe der Sonatine hat keine Begleittexte und entspricht der guten Erstausgabe von 1937 beim Johannes Oertel Verlag. Ebenfalls existiert ein Arrangement der Sonatine für Flöte und Flötenchor beim Alry Verlag.
Walter Gieseking war ein deutscher Pianist und Komponist; sein Vater war Arzt, Flötist und Pianist. Gieseking, von deutschen Eltern in Frankreich geboren, wuchs zunächst an der Riviera auf und studierte in Deutschland Musik. Er setzte sich frühzeitig und erfolgreich für die jungen Komponisten (Strawinsky, Hindemith, Bartók…) ein. Seine Aufnahmen von Ravel und Debussy zeigen größten Klangfarbenreichtum.
Gieseking wurde im selben Jahr wie Paul Hindemith geboren, dessen zur gleichen Zeit entstandene, sehr bekannte Flöten-Sonate Gieseking ursprünglich uraufführen sollte. Auch der flötenaffine Harald Genzmer hat seine 1. Sonate für Flöte und Klavier 1939 komponiert. Dass Gieseking jedoch nach Stil und Repertoire viel eher Kosmopolit als Vertreter der deutschen Kompositionsströmungen und Klavierschule war, spiegelt sich auch in seiner Flötensonatine wider.
„Sonatine“ bedeutet kleine Sonate; das bezieht sich hier wohl auf die Länge von knapp einer Viertelstunde und vielleicht auf den durchgehend charmanten Stil. Gieseking nutzt in allen drei französisch angehauchten, tonalen Sätzen den Flötenumfang bis zum c4 geschickt aus. Der Tempoverlauf über die drei Sätze ist im Wesentlichen langsam-schneller-schnell.
Im ersten Satz, Moderato, wird das beseelt gehende, sprechende Thema in verschiedensten, plötzlichen harmonischen Wechseln, variativen Veränderungen bisweilen auch im Kanon, über fast durchgehend fließenden Klavierachteln vorgeführt. Ein zweites, ernst antwortendes Thema erklingt über Klavier-Glockenpendeln in Halben und Ganzen. Der Satz ist sehr erzählend, leicht wehmütig und melodisch.
Der zweite Satz, Allegretto, wiegt sich im punktierten Tanzrhythmus. Man könnte sich an Gershwin und Filme mit TänzerInnen wie Fred Astaire und Ginger Rogers erinnert fühlen.
Der fröhliche und energiegeladene dritte Satz, Vivace, hat über weite Strecken flirrende Triolen und Sechzehntel in der Klavierbegleitung. Die Flöte spielt nach einer brillanten Einleitung (curtain call) meist romantische Bögen, die sich mit großer Virtuosität und überschwänglicher Ausgelassenheit zum beeindruckenden Ende steigern.
Walter Giesekings Sonatine ist ein geliebtes Duo und gelungenes Konzertstück im Repertoire der FlötistInnen.
Barbara Rosnitschek