Kowal-Summek, Ludger

Spiel und Musik in der musikalischen Früherziehung

unter besonderer Berücksichtigung psychoanalytischer Erkenntnisse

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Centaurus, Herbolzheim 2006
erschienen in: üben & musizieren 5/2008 , Seite 56

Beide Bücher gehören in die Hände des Musikerziehers, der sich selbst und seiner beruflichen Sphäre bewusst werden möchte, sei er nun Musikstudent oder Dozent der Fachbereiche Elementare Musikerziehung, Rhythmik, Musikpädagogik, Schulmusik, Arbeit mit Behinderten oder Pädagogische Psychologie, sei er Musikschullehrer oder Schulmusiker, der sein Arbeitsfeld deutlicher hinterfragen möchte, sei er ausübender Solist oder Orchestermusiker. Beide Veröffentlichungen legen gleichwohl einen Finger auf die Wunde, dass für den musikalisch-musikpädagogischen Erfahrungsbereich bislang wenig praxisnahe Abhandlungen einer hierauf angewandten Psychoanalyse existieren.
In Ulrike Richters Buch – schönes Beispiel einer weiten Kreisen zugänglich gemachten Diplomarbeit – geschieht das im Sinne eines sehr anschaulich formulierten und diskutierten Vademecums in drei Abteilungen: 1. Psychoanalytische Schulen und Begriffsdefinitionen, 2. Psychoanalytische Überlegungen zur Musikausübung und 3. Pädagogische Schlussfolgerungen.
Zunächst wird ein konkreter Überblick über die Entwicklung und Zersplitterung verschiedener psychoanalytischer Schulen gegeben mit dem Ziel, sowohl Hintergründe für den Instrumentalunterricht aufzudecken als auch das Lehrer-Schüler-Verhältnis in neuem Licht zu sehen. Ausgehend von Freud’scher Psychoanalyse wird diese historisch-kritisch dargestellt und anhand von Lehrmeinungen ausgewählter Psychoanalytiker bis in die Jetztzeit hinterfragt.
Wichtig scheint mir vor allem das Herausarbeiten psychodynamischer Ansätze, die Möglichkeiten geben, auf die seelische Individualstruktur von MusikschülerInnen und Ausübenden einzugehen. Auch der weniger vorgebildete Leser wird in die komplexen Bereiche von Triebtheorie, kognitiven Steuerungsprozessen und Objektbeziehungstheorie verständlich eingeführt. Der Ausblick auf Übertragungsphänomene im Instrumentalunterricht hätte meines Erachtens noch handgreiflicher an Praxisbeispielen ausgeführt werden können. Das ausführliche Literaturverzeichnis lädt zu weiterem Erfahrungssammeln im Spannungsfeld angewandter Musikpraxis und ‑pflege ein.
Ludger Kowal-Summeks äußerst akribisch verfasste umfangreiche Untersuchung trägt dagegen mehr den Charakter einer Habilitationsschrift durch kritische Sichtung und Diskussion entwicklungspsychologischer, tiefenpsychologischer, psychoanalytischer und soziologisch-sozialwissenschaftlicher Literatur zum Thema „Spiel“, die gleichzeitig eine Geschichte dieser wissenschaftlichen Richtungen im gesamten 20. Jahrhundert nachzeichnet und erst am Ende der 1990er Jahre Halt macht, also jüngste Publikationen ausklammert. Man könnte sagen, dass es keine auch heute noch aktuellen Fachpublikationen und ‑aufsätze gibt, die der Autor in sein 43 Seiten umfassendes Literaturverzeichnis nicht aufgenommen hätte. Schon aus diesem Grund lohnt die Anschaffung dieses Opus summum.
Spezifischer wird dann Kowal-Summeks Attitüde, indem er sein Kompendium der Musikalischen Früherziehung widmet und sowohl individuelle Entwicklungsperspektiven beim Spiel, entstehende Kommunikationsfelder als auch tiefenpsychologische Ansätze zu deren Deutung in sechs Kapiteln innerhalb der Methodik/Didaktik von Spiel und Spielcharakter nachzeichnet: Zugänge zum Wesen des Spiels; Spielpädagogische Anmerkungen; Kommunikation, Spiel und Gruppe; Die psychoanalytische Sichtweise des Spiels; Spiel und Musik; Spiel und Musik – die Praxis.
Das dadurch unweigerlich erzeugte Dickicht an Lehrmeinungen, vom Autor quasi in einem psychologisierenden Vexierspiegel reflektiert, wird weniger „eingeweihte“ Leser, die auf Praxisorientierung aus sind, allerdings mehr in eine faustische Bedrängnis angesichts der „Fülle an Gesichtern“ führen als in konkrete Handlungsorientiertheit. Auch bietet der Autor wenig eigene Wertungen und Schlussfolgerungen am Ende der jeweiligen Kapitel, die einen praxisorientiert ins anvisierte Spiel-Früherziehungs-Praxisfeld entlassen sollten. Diese werden eigentlich nur auf den acht Seiten Zusammenfassung am Schluss geboten. Insofern hätte der Publikation eine lexikalische Form möglicherweise besser zu Gesicht gestanden.
Dennoch: Wer sich über Spiel und Musik im Rahmen einer Supervision nahezu aller dazu existierender fachlicher Äußerungen informieren und beraten lassen will, dem tut sich hier eine Fundgrube auf. Diese sollte allerdings in einer Neuauflage unbedingt um jüngste Literatur und einen expliziteren notenpraktischen und vor allem bildlich-illustrativen Anhang erweitert werden.
Wolf Kalipp