© Katherine Spencer

Spencer, Katherine

Spielraum und Freiheit

Über den Versuch, Gemeinschaft im Instrumentalunterricht zu ­bilden

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 4/2025 , Seite 28

In seinem Buch „Musikschule neu erfinden“ beschreibt Andreas Doerne eine Musikschule, die man „jederzeit betreten kann“.1 Was passiert, wenn diese Idee auf den an einem Nach­mittag stattfindenden Querflöten­unterricht übertragen wird? Ein Projektbericht.2

Anstoß für das Projekt war ein virtueller Besuch von Andreas Doerne, Professor für Instrumental- und Gesangspädagogik an der Hochschule für Musik Freiburg, und Stefan Goeritz, Leiter des Musizierlernhauses in Waldkirch, in der Gesamtkonferenz der Musikschule Bochum. Nach der Präsentation ihres innovativen Konzepts des Musizierenlernens wurde unser Kollegium dazu eingeladen, für vier Monate ein eigenes „Ideenlabor“ zu erproben. Dabei stellten wir uns folgende Fragen: Wie können wir unsere Musikschule gesellschaftlich relevanter und zukunftsfähiger machen? Welche Strukturen können wir verändern, damit unsere SchülerInnen mehr aus der Ressource „Musikschule“ ziehen können?
Mit Feuer und Flamme begann ich, an einem Konzept zu basteln, und beschloss, mich an dem in Waldkirch praktizierten Grundsatz  „Unterrichtsdeputat = Präsenzzeit“3 zu orientieren. So gab es für vier Monate keinen Einzel-, Partner- oder Gruppenunterricht mehr, sondern ein offenes Unterrichtsformat nach der Regel: „Komm, wann du willst, geh, wann du willst.“ Damit wollte ich an die Selbstbestimmung meiner SchülerInnen appellieren. Um den Nachmittagen dennoch Struktur zu geben und Interesse und Neugier meiner SchülerInnen zu wecken, bot ich Workshops und eine Ensemblestunde an.

Prioritäten

Das Projekt erforderte einige konzeptionelle Überlegungen und Prioritäten. Neben der Förderung von Selbstbestimmung und Interesse wollte ich eine Querflötenklasse bilden – denn wenn ein Nachmittag hauptsächlich aus Einzelunterricht besteht, sind die Begegnungschancen für die Lernenden sehr gering. In der Schule, im Sportverein oder auch im Jugendorchester wiederum beobachte ich einen großen Zusammenhalt der Teilnehmenden untereinander. Inwiefern könnte diese Energie und Vertrautheit auch innerhalb eines Querflötennachmittags zu Stande kommen? Im Idealfall könnte ich einen Ort gestalten, an dem die SchülerInnen mit- und voneinander lernen und ich eher als beobachtende Unterstützerin agiere.
Außerdem wünschte ich mir ein ausgehandeltes Curriculum. Damit ist eine nonformale Unterrichtsplanung gemeint, die durch einen kontinuierlichen Dialog mit den Lernenden entsteht.4 Auf den ersten Blick scheint es, als könne diese Aufgabe im klassischen Instrumentalunterricht z. B. durch eine abgesprochene Stückauswahl erfüllt werden. Ein vergleichender Blick auf ein ausgehandeltes Curriculum beim informellen Lernen in Community-Music-Projekten – im Gegensatz zur Fixierung auf einen vorgegebenen Notentext im klassischen Instrumentalunterricht – zeigt aber, dass hier noch viel Luft nach oben ist! Aber ist es überhaupt möglich, Instruktion, Jam-Session und Selbstbestimmung im klassischen Instrumentalunterricht unter einen Hut zu bringen? Ein Weg, um das herauszufinden, war, die Wünsche und Ideen meiner SchülerInnen in das Experiment mit einzubeziehen. Das ist jedoch für die meisten SchülerInnen eher ungewohnt! Um sie zur Mit­arbeit und Meinungsbildung zu ermutigen, sollten verschiedene regelmäßige Formen des Feedbacks ein fester Bestandteil des Projekts sein.
Bezüglich meiner Präsenz als Lehrkraft hatte ich folgende Prinzipien entwickelt: Um das kollektive Wissen der Gruppe anzuregen, leitete ich z. B. an mich gerichtete Fragen an die Gruppe weiter. Wenn jemand den Unterrichtsraum betrat, versuchte ich, sie oder ihn möglichst schnell in das Geschehen einzubeziehen. Ich versuchte, wo es notwendig war, SchülerInnen zu unterstützen, z. B. beim gegenseitigen Kennenlernen, beim Ideengeben oder beim Ensemblespiel. Letztlich wollte ich, dass der Unterricht fließt: Da die Lernenden kommen und gehen konnten, wie sie wollten, war es mir wichtig, dass sie für ihre Interessen und ihre Zeit selbst verantwortlich waren.
Auch räumlich gab es wichtige Veränderungen: Ein „Schwarzes Brett“ außerhalb des Raums diente als Vernetzungs- und Kommunikationszentrum (siehe Abbildung); meinen Unterrichtsraum – ein großes ehemaliges Klassenzimmer – hatte ich so umgestaltet, dass ein großer Tisch in der Mitte des Raums als Beobachtungs- und Aufgabenplatz zur Verfügung stand.

1 Doerne, Andreas: Musikschule neu erfinden. Ideen für ein Musizierlernhaus der Zukunft, Mainz 2019, S. 44.
2 Eine ähnliche Version dieses Artikels erschien auch auf musikschullabor.de mit dem Titel „Das Ideenlabor in meinem Unterricht“, www.musikschullabor.de/praxislabor/bochum-das-ideenlabor-in-meinem-unterricht (Stand: 26.6.2025).
3 Doerne, S. 108.
4 Aus dem englischen: „negotiated curriculum“. Vgl. Higgins, Lee: „My voice is important too. Nonformal ­music experiences and young people“, in: McPherson, Gary : The Child as Musician. A handbook of musical ­development, Oxford 2016.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2025.

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