Bonis, Mel

Suite

pour violon et piano op. 114 (1926)

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Furore, Kassel 2012
erschienen in: üben & musizieren 1/2013 , Seite 61

Mit ihrem 1986 gegründeten Furore-Verlag hat Renate Matthei, die kürzlich mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, Vorbildliches für immer noch unterschätzte Komponistinnen geleistet: Bislang konnten in ihrem Verlag an die 1000 Titel von rund 150 Frauen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart erscheinen. Darunter finden sich zahlreiche Entdeckung wie auch die vorliegende Ausgabe der dreisätzigen Suite pour violon et piano op. 114 von Mel Bonis (1858-1937), einer französischen Komponistin, die nicht nur in Deutschland gänzlich unbekannt geblieben ist. Diese Suite wird denn auch hier erstmals veröffentlicht – 86 Jahre nach ihrer Entstehung 1926.
Mel Bonis (Mélanie Domange) studierte, gefördert durch César Franck, bis 1881 in Paris am Conservatoire Supérieur bei keinem Geringeren als Ernest Guiraud, dem bedeutenden Kompositions­lehrer u. a. von Paul Dukas oder Claude Debussy. 1883 heiratete sie den Industriellen Albert Domange, widmete sich vor allem der Erziehung ihrer vier Kinder, konzentrierte sich erst seit 1900 auf das Komponieren – ihre wichtigsten Werke entstanden zwischen 1900 und 1914 – und legte nicht weniger als 150 Klavierstücke, 24 Kammermusiken, 12 Orchesterwerke, an die 40 Orgelstücke und 20 Klavierlieder vor.
Die vorliegende Suite stammt aus ihrer späten Zeit, in der sie durch familiäre Verluste und Überforderungen unter Depressionen gelitten haben soll. Davon ist in dieser Suite nichts zu spüren: eine Folge von makellos gestalteten, abwechslungsreichen und klangvollen Charakterstücken, von deren etwas abgegriffenen Titeln (Festtag, Unterm Laubdach, Ländlicher Umzug) man sich nicht täuschen lassen sollte. Unverkennbar leitet sich ihre Musik mit einer modal erweiterten harmonischen Tona­lität von der Franck-Schule her, doch hellt sie diese durch impressionistische Einflüsse auf und findet hier zu einem Stil, der an den frühen Honegger (etwa dessen Pastorale d’été) gemahnt.
Die Ausgabe mit einem sehr ­instruktiven Vorwort (dem die angeführten Angaben entnommen sind) ist drucktechnisch optimal gestaltet und auch sorgfältig von Eberhard Mayer und Ingrid Mayer ediert, doch finden sich einige Divergenzen zwischen der separaten Violinstimme und der dem Klavierpart überlegten Violinstimme, die etwas stören oder verwirren und bei einer hoffentlich alsbald nötigen zweiten Auflage ausgeglichen werden könnten; angeführt seien einige Beispiele: II. Satz, Takt 81 (Vorzeichen), Takt 149 (Pausenzeichen), III. Satz, Takt 53 (Artikulation und Dynamik), Takt 58 (Vorzeichen), Takt 67 bzw. 77 (Bögen), Takt 102 (Dynamik), Takt 109 (Notenwerte und Artikulation).
Spieltechnisch ist der Klavierpart etwas anspruchsvoller als die Vio­linstimme gestaltet, doch dürften diese schönen Stücke auch von engagierten Laien gut zu bewältigen sein, die nicht vor Des-Dur zurückschrecken: Es lohnt!
Giselher Schubert