Wernhard, Eike

tastsinn

Klavierschule, Band 1, mit CD

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2011
erschienen in: üben & musizieren 2/2012 , Seite 65

Hinter dem schönen Titel tastsinn verbirgt sich eine durchdachte und sorgfältig gestaltete Klavierschule für Jugendliche und Erwachsene. Die Abfolge der Lernschritte orientiert sich am Bewährten: Beginn mit schwarzen Tasten, daraufhin schrittweise Erschließung des Tonraums vom Mittel-C aus. Neben einer stilistisch vielseitigen Anleitung zum Spielen nach Noten findet man Anregungen zur improvisierten Liedbegleitung und ein Improvisationsmuster für Boogie-Woogie und Rock’n’ Roll.
Das Besondere der Schule liegt in der dichten Verknüpfung der Lerninhalte. Ausgehend von der Überlegung, dass Jugendliche und Erwachsene systematischer und weniger ganzheitlich lernen als Kinder, bietet Wernhard mit dem instrumentalen Lehrgang zugleich eine elementare Musiklehre. Die präzise formulierten Texte hierzu sind im Heft grau unterlegt. In rot umrandeten Feldern findet man interessante Hintergrundinformationen zu den Stücken und Liedern. Die Dynamik ist von Anfang an genau bezeichnet; sehr bald kommt die Artikulation dazu. Für das Pedal sollte es mehr Beispiele geben.
Der Einstieg ins Tonleiterspiel überzeugt mich nicht: In unausgesprochenem Widerspruch zum Hefttitel tastsinn beginnt der Autor mit C-Dur, das zwar leicht zu lesen ist, aber den Fingern nur wenig Orientierung in den Tasten bietet. H-Dur liegt besser in der Hand und begünstigt einen fließenden Bewegungsablauf. Für die linke Hand sollte der Reformfingersatz zumindest alternativ zum traditionellen Fingersatz genannt werden: bei allen Kreuztonarten den 4. Finger auf fis, um unter eine schwarze Taste untersetzen zu können.
Das Übungsmaterial besteht hauptsächlich aus Eigenkompositionen des Autors, ergänzt durch bekannte Lieder. Das erste klassische Originalstück, ein Menuett von Leopold Mozart, findet man erst auf Seite 86, danach folgen nur vier weitere Original-Klavierstücke aus Barock und Klassik. Die reiche Unterrichtsliteratur des 20. Jahrhunderts von Bartók bis Kurtág fehlt völlig. Hier wird man im Unterricht auf jeden Fall ergänzende Literatur heranziehen müssen, auch wenn Wernhard in seinen Kompositionen eine große stilistische Vielseitigkeit beweist. Seien es Tanzformen wie Samba und Boogie-Woogie, Traditionelles wie Lyrisches Stück oder Intervallstücke wie Der Terzbold: Die Stücke sind gut gemacht und zumeist auch motivierend. Die lebendig eingespielte CD dürfte eine wertvolle Hilfe beim Lernen sein. Vierhändige Stücke sind darauf zweimal enthalten, einmal vollständig und ein zweites Mal als Mitspielversion ohne den Schülerpart.
Insgesamt ein sehr gutes Lehrwerk für eine Zielgruppe, für die es noch nicht viele Klavierschulen gibt. Auf den für 2012 angekündigten zweiten Band darf man gespannt sein.
Sigrid Naumann