Clausen, Bernd (Hg.)

Teilhabe und Gerechtigkeit

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Waxmann, Münster 2014
erschienen in: üben & musizieren 2/2015 , Seite 50

Der vorliegende Band 35 der vom Arbeitskreis Musikpädagogische Forschung (AMPF) herausgegebenen Reihe „Musikpädagogische Forschung“ ist der Tagungsbericht der 35. AMPF-Konferenz (2013). Die 13 Artikel spiegeln einen Großteil der Tagungsbeiträge wider; in etlichen geht es, wie auch schon in vorherigen AMPF-Bänden, um Teilaspekte der JeKi-Forschungen; vereinzelte andere thematisieren spezielle Aspekte wie den Begriff von der „verständigen Musikpraxis“, Auffassungen von der „Musiktheorie“ oder vom „Geschichten erzählen“.
Kaum einer der Beiträge lässt sich wirklich auf das Tagungs- und Buchthema ein; die vorweg formulierten Referenzpunkte – Begründungsmuster für Musikunterricht, kritische Selbstsicht auf musikpädagogische Konzeptionen sowie Fragen um Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe – haben nicht weit getragen. Dies bedauert auch Herausgeber Bernd Clausen und verweist mit Sorge darauf, dass „die Forschungsbemühungen in der musikpädagogischen Forschung hoch selbstreferenziell zu werden drohen“.
„Teilhabe und Gerechtigkeit“ sind große, für eine Fachtagung von Musikpädagogen und -pädagoginnen hoch anspruchsvolle Worte. Was ist mit „Teilhabe“ – im Begriffshorizont: Teilnahme, Beteiligung, Partizipation, Einbeziehung, Mitwirkung, Mitbestimmung – in (musik-)pädagogischen Kontexten gemeint? Ist der egalitaristische Grundton, der bei „Teilhabegerechtigkeit“ stark mitschwingt, nicht irreführend? Andreas Lehmann-Wermser und Valerie Krupp gehen, soweit es der Rahmen ihrer JeKi-Forschung nahelegt, solchen Fragen nach. Dabei betonen sie die notwendige Berücksichtigung der je individuellen Fähigkeiten, Ressourcen und Entscheidungsmöglichkeiten, um von dort aus zum Parameter des „musikalischen Involviertseins“ zu kommen, einer Kategorie, die bereits begrifflich viel mehr hergibt als „Teilhabe“ und die sich auch in der empirischen Forschung besser handhaben lässt.
Der anregendste Beitrag zum Thema allerdings stammt von außen: vom Erziehungswissenschaftler Paul Mecheril, der bei der AMPF-Tagung als Keynote Speaker eingeladen war. Er geht u. a. mit dem „Elend der Interkulturellen Pädagogik“ ins Gericht: mit der Gegenüberstellung der „MoM“ und der „MmM“, der „Menschen ohne Migrationshintergrund“, also „wir“, „nicht besonders, nicht integrationsbedürftig, normal und fraglos am richtigen Ort“, und der „MmM“, Hinzugekommenen, Fremden, Integrationsbedürftigen. Es gibt hier eine beeindruckende Korrespondenz zum Beitrag „Herausforderung Inklusion?“ (Ulrike Kranefeld u. a.), in dem die Praxis der „Konstruktion“ (!) von „Förderbedarf“ erörtert und der mögliche Widerspruch zwischen dem stets vorweg institutionell diagnostizierten Förderbedarf der „Anderen“ und der je eigenen Konstruktion „vor Ort“ beleuchtet wird – das „zentrale Dilemma inklusiver Prozesse“. Solche gedankliche Spuren können es anregend machen, sich mit diesem Buch auseinanderzusetzen.
Franz Niermann