Gläfcke, Patricia

Tolerant, vorurteilsfrei, diversitätsbewusst

Die Akademie der Kulturellen Bildung in Remscheid setzt 2020 einen Themenschwerpunkt zu Genderfragen in der Kulturellen Bildung

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 6/2019 , Seite 34

Das Thema Gender, das soziale Geschlecht, ist in der gesellschaftlichen Debatte heute sehr präsent. Gerade MusikerInnen diverser Genres haben sich mit musikalischen Beiträgen und Inszenierungen positioniert: beispielsweise in der Popkultur für einen freien Umgang von musizierenden Menschen miteinander, frei von sexuellen, rassistischen und nationalistischen Diskriminierungen.
In der musikalischen Bildung haben die Entfaltung der eigenen Authentizität und die Subjektstärkung entscheidende Bedeutung. Sie erfordern einen offenen Prozess der Identitätsbildung und sichere, diskriminierungsfreie Räume. Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit sollten stets geprägt sein von toleranten, vorurteilsfreien und diversitätsbewussten Haltungen. In der Praxis wird allerdings deutlich, dass allein pädagogisches Fachwissen nicht mehr ausreicht. Der Umgang mit einer offenen Gesellschaft ist anstrengend, Konflikte auf Basis von Zugehörigkeitsverhandlungen gehören zum Alltag. MitarbeiterInnen, Lehrkräfte und SchülerInnen stehen vor immensen Herausforderungen: Integration, Partizipation und Inklusion sind Themenfelder, die nur durch die Haltung der beteiligten Menschen stets neu sensibel verhandelt werden können.
Doch wenn homogene Gruppenkonstella­tionen immer weniger alltäglich sind, wie gelingt es, alternative Lebenswelten und Wertvorstellungen zu integrieren, kennen- und schätzen zu lernen? Wie prägen innere Bilder und die innere Haltung die diversitätsbewusste Arbeit?
Die Akademie der Kulturellen Bildung lädt dazu ein, sich mit der eigenen Wahrnehmung, eventuell vorhandenen strukturellen Barrieren und diskriminierungssensiblen Praxisansätzen auseinanderzusetzen und sich neue Planungs- und Handlungsmuster zu eröffnen, z. B. im Grundkurs „Der Unterschied, der (k)einen Unterschied macht“ (6. bis 9. April). Als Themenschwerpunkt in diesem Diskurs widmet sich die Akademie der Kulturellen Bildung im Programm 2020 mit mehreren Kursen den Genderperspektiven.
Welche Rolle spielt das Geschlecht im gesellschaftlichen Alltag? Aus welchen Perspektiven ist „Geschlecht“ zu betrachten? Gerade in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist ein spielerischer und wertfreier Zugang wesentlich, um unterschiedliche Möglichkeiten der Identifikation und Reflexion offen zu halten. Weil die eigene „Geschlechtlichkeit“ für die meisten Menschen selbstverständlich ist, sind den meisten von uns die Einflüsse wenig bewusst, die die Geschlechtszugehörigkeit auf unser Leben hat. Der Kurs „Gender – Identität – Freiheit“ (13. bis 14. Januar) widmet sich der eigenen Sensibilisierung.
Jungen tragen (immer noch!) Blau, Mädchen Rosa. Jungen spielen mit Autos, Mädchen mit Puppen. Die Spielzeugindustrie arbeitet stark mit Rollenklischees. Im Kurs „Gender-Diversity-Spielzeuge“ (22. bis 24. Juni) geht es um die Revolutionierung von Kinderzimmern. Der „Genderscape Room“ (10. bis 14. Februar) in der Akademie stellt komplexe Fragen wie: „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ Er setzt sich auseinander mit Vorurteilen, Rollenwechseln, Genderfragen und politischer (Un-)Korrektheit. Das Ziel ist, ein neues Format zu entwickeln: einen Escape Room zur Identitätsfindung als Bildungsangebot mit spiel-, theater- und medienpädagogischen Ansätzen.
Im Kurs „Bilderbücher – radikal anders!“ suchen die TeilnehmerInnen nach guten Beispielen von Kinderbüchern, die in ihrer Story und Illustration positive Bilder der Familien-, Geschlechter- und Ethnienvielfalt zeigen. Sie verabschieden sich von hartnäckigen Rollenklischees: Schürze tragende Muttis winken – das niedliche Töchterchen auf dem Arm – dem Mann, der sich im schicken Anzug auf den Weg zur Arbeit macht.
Bereits vor der Grundschule nehmen Kinder komplexe soziale Gefüge wahr und orientieren sich daran: Bewertungen und sprachliche Einordnungen prägen ihre Wahrnehmungswelt nachhaltig. Im Kurs „Ein Kinderspiel?! – Spielräume diskriminierungssensibel und diversitätsbewusst gestalten“ werden Spielräume entwickelt, die normativ geprägte Verhaltensmuster aufbrechen und Spielangebote schafften, die Diversität erlebbar machen.
Klassische Rollenbilder und cisgender-geprägte Geschlechterhierarchien findet man in den Musikszenen nach wie vor häufig: im Schulmusikunterricht, beim Instrumentenkarussell, auf der klassischen Musikbühne, im Orchestergraben, bei Kompositionsaufträgen, in der Popmusikindustrie oder an den Hochschulen. Erlebte und antizipierte Diskriminierung sollten in unserer Gesellschaft ­keinen Platz haben. Trotzdem fällt es oft schwer, sich von erlernten Lebenswelten und heteronormativen Erwartungen der Umwelt frei zu machen, eigene Einstellungen zu überprüfen und organisatorische Strukturen zu verändern. Sich als PädagogIn, LehrerIn oder MitarbeiterIn zu sensibilisieren, offen und vorurteilsfrei im pädagogischen Alltag mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten – das sind Prozesse, die in allen Einrichtungen selbstverständlich sein sollten. Die Haltung der Menschen in den Organisationen macht den Unterschied und erlaubt Freiräume, authentisch zu sein und authentisch gemeinsam zu musizieren.

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