Zimmermann, Fiona

Tools und Taktgefühl

Üben und digitale Geräte im Wettstreit um die Aufmerksamkeit

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2025 , Seite 24

Proben, Wiederholen, Dranbleiben – aber wie bleibt das Üben am Instru­ment in einer digital geprägten Welt im Fokus? Digitale Medien bieten das Potenzial, das häusliche Üben zu bereichern, allerdings nur, wenn sie mit Bedacht ein­gesetzt werden. Dabei kann das SAMR-Modell helfen.

Das Smartphone als „omnipräsentes Universalmedium“1 prägt den Alltag junger Menschen – auch den von MusikschülerInnen – und lenkt ihre Aufmerksamkeit beharrlich auf digitale Inhalte. Dieser Umstand wirkt sich indirekt auf das Musizieren-Lernen aus: Regelmäßiges Üben zwischen den Unterrichtsstunden ist für das Erlernen eines Instruments unabdingbar, denn musikalische Entwicklung erfordert kontinuierliche Praxis. Doch Hausaufgaben – als „komplexe, unterrichtlich initiierte Praxis, in die Lehrkräfte, SchülerInnen, Eltern sowie weitere (pädagogische) AkteurInnen einbezogen sind“2 – geraten angesichts der digitalen Konkurrenz leicht ins Hintertreffen. Um aus dieser Not eine Tugend zu machen, gilt es eine Antwort zu finden auf folgende Frage: Wie können digitale Medien genutzt werden, um das häus­liche Üben zwischen den Unterrichtsstunden optimal zu unterstützen?

Warum digitale Tools einsetzen?

Ohne Zweifel müssen digitale Tools gezielt eingesetzt werden. Gelingt dies, dann eröffnen sie nicht nur neue Lehrformate, sondern können Lernprozesse bereichern, indem sie Eigenverantwortung und musikalische Kompetenzen fördern. So können sie auch die Motivation zum häuslichen Üben erheblich steigern – besonders durch direkte Rückmeldungen, niederschwellige kreative Ausdrucksmöglichkeiten und spielerische Elemente wie Gamification. Gerade jüngere SchülerInnen reagieren mit Begeisterung auf solche Angebote. Allerdings zeigen Studien,3 dass diese Anfangseffekte häufig nachlassen, sobald der Neuigkeitswert schwindet oder Aufgaben wenig variabel gestaltet sind. Umso wichtiger ist eine didaktisch sinnvolle Einbettung: Individualisierte Aufgaben, klare Zielsetzungen, Wahlmöglichkeiten und ein Wechsel zwischen digitalen und analogen Lernphasen fördern die Motivation langfristig. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine zu intensive Bildschirmnutzung zu kognitiver Überlastung führen kann – ein Aspekt, der in der Gestaltung digitaler Hausaufgaben unbedingt mitgedacht werden sollte.4

Vom Metronom zur KI: Das SAMR-Modell

Um den Einsatz digitaler Technologien didaktisch zu strukturieren, bietet das sogenannte SAMR-Modell von Ruben Puentedura einen hilfreichen Bezugsrahmen.5 Es unterstützt dabei, digitale Werkzeuge nicht nur funktional, sondern reflektiert in Lernkontexte zu integrieren – insbesondere im Hinblick auf Hausaufgaben.
Das Modell unterscheidet vier grundlegende Formen bzw. Stufen der Medienintegration, anhand derer sich der pädagogische Mehrwert differenziert einschätzen lässt: Auf der Stufe der Substitution ersetzen digitale Technologien analoge Mittel ohne funktionale Veränderung – etwa, wenn ein klassisches Metronom oder Stimmgerät durch eine entsprechende App ersetzt wird. Augmentation meint den Ersatz mit funktionaler Verbesserung, wie ihn Apps wie TIO6 und ForScore7 bieten, die eine erweiterte digitale Notenverwaltung ermöglichen – etwa durch Funktionen wie Annotationswerkzeuge, integriertes Metronom oder direkte Audio-Wiedergabe. Bei der Modification wird eine Aufgabe grund­legend umgestaltet, zum Beispiel durch den Einsatz gamifizierter Lern-Apps wie Rhythm Swing8 oder Flute Master,9 die neue Zugänge zum musikalischen Üben eröffnen. Die Stufe der Redefinition beschreibt Aufgaben, die durch den Einsatz digitaler Technologien in dieser Form erst möglich werden – etwa die Nutzung von KI-Kompositionstools wie AIVA10 oder Anwendungen wie Hookpad,11 die harmonische und melodische Strukturen grafisch darstellen und dadurch musiktheoretische Zusammenhänge sichtbar machen, sodass sie neue Formen der Auseinandersetzung mit Musik ermöglichen.12

Hausaufgaben als kreative Gestaltungsräume

Der „Genre-Detektiv“ ist ein Praxisbeispiel für Hausaufgaben auf der SAMR-Stufe Redefinition: Im Blockflötenunterricht wurde das Thema Improvisation über das Bassschema der Bergamasca (C-F-G-C) eingeführt. Die SchülerInnen hatten bereits Gelegenheit, improvisatorische Werkzeuge kennenzulernen und im Unterricht mehrfach anzuwenden. Aufbauend darauf erhalten sie die Aufgabe, mit dem KI-Kompositionstool AIVA drei stilistisch unterschiedliche Versionen desselben Harmonieschemas zu erzeugen. Zur Auswahl stehen über 250 Stilvorlagen wie „Epic Orchestra“, „Traditional Folk“ oder „Cinematic Ambient“. Anschließend improvisieren die Lernenden zu den von AIVA generierten Musikstücken und erstellen Audioaufnahmen davon. Zur Vorbereitung auf die nächste Unterrichtsstunde reflektieren sie, wie sich musikalische Parameter wie Rhythmus, Harmonik oder Artikulation durch die stilistischen Vorgaben verändern. Diese Beobachtungen bilden die Grundlage für eine gemeinsame Analyse im Unterricht und fördern das Verständnis für stilistische Eigenheiten.
Diese Aufgabe illustriert beispielhaft selbstgesteuertes, entdeckendes Lernen. Es werden musikalische Phänomene aktiv untersucht und Erkenntnisse kritisch reflektiert. Dieses forschende Lernen fördert nicht nur Problemlösekompetenzen, sondern stärkt auch die Eigenverantwortung und das Verständnis für komplexe musikalische Zusammenhänge. Dabei verbinden sie kreatives Handeln mit analytischem Denken – auch im Umgang mit KI-gestützten Prozessen. In dieser Verbindung zeigt sich, wie digitale Werkzeuge neue kreative Lernräume eröffnen und Hausaufgaben didaktisch bereichern können.

Fazit

Digitale Werkzeuge sind Chance und Herausforderung zugleich. Entscheidend sind ihr sachkundiger Einsatz und ihre stete didaktische Reflexion. Die Musizierpädagogik steht vor der enormen Aufgabe, das Potenzial sorgfältig zu nutzen und Medienkompetenz als Bestandteil der Bildung zu verankern. Auf diese Weise können Hausaufgaben gestaltet werden, die nicht nur Selbstwirksamkeit und Kreativität fördern, sondern auch SchülerInnen befähigen, digitale Medien reflektiert und verantwortungsvoll zu nutzen. Eine unverzichtbare Kompetenz für die Zukunft – nicht nur, wenn es um das Erlernen eines Ins­truments geht.

1 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: JIM-Studie 2024. Jugend, Information, Medien, Stuttgart 2024, S. 12.
2 Bräu, Karin/Fuhrmann, Laura/Rother, Pia: „Eine Einführung“, in: Bräu, Karin/Fuhrmann, Laura/Rother, Pia (Hg.): Die verborgenen Seiten von Hausaufgaben, Weinheim 2023, S. 7.
3 vgl. Rodrigues, Luciano Lopes/Oliveira, Wanda de Aguiar/Silva, Augusto José Venâncio Lins da u. a.: „Gamification suffers from the novelty effect but benefits from the familiarization effect: Findings from a longitudinal study“, in: International Journal of Educational Technology in Higher Education, 2022, Heft 1, Artikel 5; Tsay, Chin-Feng/Kuo, Po-Hung/Tsai, Wei-Tsong: „Overcoming the novelty effect in online gamified learning ­systems“, in: Journal of Educational Technology Development and Exchange, 2020, Heft 2, S. 73-86; Dichev, Christo/Dicheva, Darina: „Gamification in education: where are we in 2017?“, in: International Journal of Educational Technology in Higher Education, 2017, Heft 1, Artikel 9.
4 vgl. Naab, Thorsten: Forschungsperspektiven zu Mediennutzung, Medienbildung und Herausforderungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland, Broschüre des Deutschen Jugendinstituts, München 2025, S. 23 ff. Anmerkung: Die Befunde sind korrelativ ohne Kausalnachweis; sie basieren auf Selbst- und Elternbefragungen mit Erinnerungsverzerrungen; keine Differenzierung nach Art der Bildschirmaktivität.
5 vgl. Puentedura, Ruben R.: „Transformation, Technology, and Education“, Vortrag 2006, http://hippasus.com/ resources/tte (Stand: 25.8.2025).
6 www.hfm-nuernberg.de/forschung-innovation/relevel/tio-music (Stand: 25.8.2025).
7 https://forscore.co (Stand: 25.8.2025).
8 https://apps.apple.com/de/app/rhythm-swing-music-drills/id1007346233 (Stand 22.10.25).
9 www.classplash.com/flutemaster (Stand: 25.8.2025).
10 www.aiva.ai (Stand 25.8.2025).
11 www.hooktheory.com/hookpad (Stand 25.8.2025).
12 Die Einordnung der genannten App-Beispiele ist stets exemplarisch und hängt maßgeblich von der konkreten Nutzung und didaktischen Einbettung durch die unterrichtende Person ab.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 6/2025.

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support