Spiegel, Hans-Georg

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Erfahrungen beim Aufbau von Bläserklassen an Grundschulen

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2012 , Seite 14

Bläserklassen bilden meistens einen Klassen­zug am Gymnasium – eben die “Bläserklasse”. An Haupt- und Realschulen ist eine solche ­seltener und an Grundschulen fast nie anzutreffen. Wie es gelingen kann, eine Bläser­klasse an Grundschulen aufzubauen, beschreibt Hans-Georg Spiegel mit einem Bericht aus der Praxis.

Als ich 2006 gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könne, eine Bläserklasse an einer Hamburger Grundschule aufzubauen, dachte ich, dass dies kaum möglich sein würde. Die Kinder sind in der dritten Klasse oft noch sehr klein, wie sollten sie Posaune spielen? Was für Klarinetten könnten angeschafft werden, damit die nötigen Griffe erreicht werden können? Und last but not least: Welche Literatur könnten wir verwenden?
Als Blechbläser sind mir zwar die gängigen Blechblas­instrumente bekannt, meine Fertigkeiten auf Querflöte und Klarinette sind aber, trotz Ausbildung durch die Akademie für Musikpädagogik, eher als dürftig zu bezeichnen und für einen qualifizierten Anfängerunterricht nicht ausreichend. Von der Schule wurde mir eine Holzbläserin zur Seite gestellt, welche diese Lücke füllen sollte.
Die Schule wollte eine Streicher-, eine Perkussions- und eine Bläserklasse aufmachen. Die Kinder selber hatten keine Wahl: Wer in der 3c war, musste ein Blasinstrument lernen… Wählen konnten sie allerdings, welches Blasinstrument sie spielen wollten, und mit viel Freude und natürlich auch einer gewissen Aufregung begannen wir mit der ersten Stunde.

Fortbildung und Literatur

Ich hatte bereits eine Fortbildung mit einem regelmäßig nach Hamburg kommenden Pädagogen der Akademie für Musikpädagogik absolviert. Eine Fortbildung für Yamaha-Bläserklassen lag vor mir, und durch mein abgeschlossenes EMP-Studium fühlte ich mich gut vorbereitet. Die Akademie für Musik­pädagogik in Wiesbaden bietet einen Kurs an, der über zwei Jahre geht.1 Die angehende Bläserklassenlehrkraft lernt dort elementar ­alle Blasinstrumente kennen mit dem Ziel, sie den Schülerinnen und Schülern im Anfangsunterricht zu vermitteln. Mich hat bei diesem Kurs fasziniert, dass der Dozent tatsächlich alle Bläserklasseninstrumente spielen konnte, obwohl sein Hauptinstrument ein anderes war. Außerdem konnte er uns wirklich brauchbare Tipps für den Anfangsbereich geben. Der Bläserklassenkurs von Yamaha fand an zwei Wochenenden statt.2 Es gab in der Kürze der Zeit nur die Möglichkeit zu einer kurzen Information und einem elementaren Ausprobieren der unterschiedlichen Inst­rumente. In beiden Kursen saßen sowohl Inst­rumentalistInnen und InstrumentalpädagogInnen als auch SchulmusikerInnen, welche zum Teil noch nie ein Blasinstrument gespielt hatten.
Beide Kurse haben gemein, dass ein nicht unwichtiger Punkt der Verkauf von Instrumenten zu Sonderkonditionen ist. Yamaha wartet mit einem klar entwickelten Finanzierungsprogramm auf, welches Schritt für Schritt zeigt, wie eine Finanzierung möglich ist – von der Gründung eines Schulvereins bis zur Einwerbung von Drittmitteln.
Die Bläserklassenliteratur kommt ursprünglich aus den USA und ist für deutsche Schulen bearbeitet worden. Die Wiesbadener Version hieß früher Best in Class (heute verwendet die Akademie für Musikpädagogik ihr eigenes Schulwerk Klasse musiziert), die von Yamaha heißt Essential Elements. Zusätzlich sei noch auf die neue Bläserklassenliteratur von Schott (Die Bläserbande) hingewiesen. Außerdem existiert ein weites Feld an Zusatz­literatur zur Repertoireerweiterung.3

Eine Bläserklasse findet ihren Klang

Begonnen wird mit einem gemeinsamen Ton, dann zwei, dann drei Tönen; darauf werden kurze Zwei- oder Dreitonmelodien gemeinsam und abwechselnd gespielt. Ein Gefühl für Klang wird etabliert. In einem weiteren Schritt geht es darum, dass nicht alle das Gleiche spielen, einfache Mehrstimmigkeit bildet sich aus, die dann später in immer komplexere Arrangements mündet. Zu Weihnachten wird nach einem halben Jahr meistens das erste Mal unisono konzertiert.
Bei Yamaha ist immer vorgesehen, dass die verschiedenen Instrumentengruppen von Fachleuten unterrichtet werden, während es beim System der Akademie für Musikpädagogik möglich ist, dass die Bläserklassenleiterin allein alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam unterrichtet. Was inhaltlich passieren soll, ist vorgeschrieben, die didaktischen Schritte sind überlegt, die Musikstücke schon zusammengestellt. Wie der Unterricht konkret gestaltet werden soll, das steht natürlich nicht geschrieben. Es gibt aber Hilfen und Kniffe, Rezepte und Antworten auf viele Fragen.
Das schönste Erlebnis war und ist für mich der Moment, wenn die Schülerinnen und Schüler in der Lage sind zuzuhören, sich selbst und die anderen wahrzunehmen und zu agieren. Wenn dies gelungen ist, startet die Bläserklasse in eine neue Dimension. Das übergeordnete Ziel, gemeinsam zu lernen und voranzugehen, ist dann in seiner schönsten Form erreicht. Jede Stimme ist wichtig, ein Fundament ebenso wie die schönen äußeren Verzierungen. Die Ergebnisse von Bläserklassen, in denen dies gelingt, sind beachtlich. Wie lässt sich dies erreichen und wie kommt man als Lehrkraft zu diesem befriedigenden Ergebnis?
1. Aufmerksamkeit, die ich von den SchülerInnen verlange, muss ich ihnen selbst auch entgegenbringen.
2. Nur, was für alle erkennbar ist, kann auch von allen angestrebt werden.
3. Alle Schülerinnen und Schüler sollten immer beschäftigt sein, dann kommt keine Langeweile auf.
Gerade am Anfang ist es für SchülerInnen schwierig, den „richtigen“ Ton zu treffen. Aufmerksamkeit ist gefragt. Wenn der Ton gelingt, kann man mit den anderen zusammenspielen. Manche üben noch die Griffe, arbeiten mit dem Luftfluss oder machen die Handzeichen mit, so sind immer alle involviert.
In meinem speziellen Fall war es so, dass ich leider ein halbes Jahr ohne meine erkrankte Kollegin unterrichten musste. Als Notnagel griff ich zum Akkordeon – eine große Hilfe, wie sich herausstellte. Ich konnte mit einer Hand die Solmisationszeichen nach Kodály machen und mit der anderen Hand spielen. Das Akkordeon hat sich als sehr praktisch erwiesen, da es immer ein stabiles Fundament abgibt, sowohl klanglich als auch dynamisch. Je sicherer die Kinder wurden, desto leiser konnte ich werden. Wenn die Kinder mit dem Handling der Inst­rumente, dem Treffen der richtigen Töne, dem Rhythmus und der Atmung beschäftigt sind, ist dieser rote Faden eine große Hilfe zum Erzeugen eines wirklichen Zusammenklangs.

1 Informationen unter www.musikpaedagogik.de
2 Informationen unter www.blaeserklasse.de
3 Eine Liste weiterer Bläserklasse-Schulen findet sich unter www.blaeserklasse.eu

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2012.