Shafarenko, Grigory
Übungen und Etüden für Klavier
für Unterricht und Selbststudium, mit CD
Nach Aussagen des Verfassers möchte der vorliegende Band Übungsmaterial für ältere Anfänger oder Wiedereinsteiger anbieten, denen die typische Literatur für diesen Schwierigkeitsgrad möglicherweise zu kindlich erscheint. Für diesen Personenkreis könnte eine gut zusammengestellte und kommentierte Sammlung durchaus von Interesse sein. Der zur Rede stehende Band kann vor dem Hintergrund des Vorhandenen allerdings nicht überzeugen.
Die 20 Stücke (alle auch auf der beiliegenden CD zu hören) haben nur bedingt Etüdencharakter. Eher sind es kleine Stücke im Umfang von überwiegend 8 oder 16, in wenigen Fällen bis zu 34 Takten. Ausnahmslos spielt die linke Hand die Begleitung, was für eine technisch orientierte Sammlung doch sehr einseitig ist. Unter den anzutreffenden technischen Aufgabenstellungen finden sich u. a. Doppelgriffe, Pedal, Über- und Untersatz, kleine Verzierungen, gebrochene Akkorde, Lagenspiel, Mehrstimmigkeit in einer Hand. Zu jedem Stück gehören ein kurzer Kommentar und eine oder mehrere Vorübungen. Letztere greifen zwar einzelne Momente aus dem dazugehörigen Stück heraus, oft sind sie aber weder kürzer noch leichter als dieses, was nicht unbedingt pädagogischer Logik entspricht.
Stilistisch bleiben alle Stücke bewusst in einer traditionellen Sprache. In diesem Kontext fallen aber nun nicht wenige Ungeschicklichkeiten in der Stimmführung der oft drei- oder vierstimmigen Sätze auf, die nicht mit den begrenzten Fähigkeiten der potenziellen Spieler erklärt werden können. Auch orthografisch gibt es Fragwürdiges. Eine Zwischendominante nach F-Dur wird mit c-ais notiert (und auffälligem Querstand a’ im Sopran). Mehrfach sind 3/4-Takte als 6/8 bezeichnet (Nr. 16, Nr. 20, hier möglicherweise bis auf T. 18), dem gegenüber wird in Nr. 2 ein 6/8-Takt als walzerartig deklariert. Spätestens wenn dann in Bezug auf einen 4/4-Takt mit Viertelbewegung und punktierten Achteln mit angehängten Sechzehnteln von Synkopen gesprochen wird, beginnt man an der musikalischen Bildung des Verfassers zu zweifeln.
Alle Stücke benutzen Pedal. In der Nr. 2 wird es sogar über eine schrittweise laufende Achtelbewegung im Bass gehalten, was vielleicht ein erfahrener Pianist plausibel machen kann (wenn es denn wirklich so sein soll), Spieler dieser Stufe aber wohl eher nicht. Die Stücke enthalten viele Fingersätze, die aber leider auch oft pianistischen Instinkt vermissen lassen (z. B. wird öfter das beteiligte Pedal nicht einkalkuliert). Das im Einzelnen zu dokumentieren, würde den Rahmen dieser Rezension sprengen. Kleine sprachliche Mängel („Doppelnoten“ statt Doppelgriffe) und Unbequemlichkeiten in der Notation (die Handverteilung wird durch Klammern für jede Note einzeln angegeben – auch dort, wo sich die Verteilung über mehrere Noten nicht verändert) fallen gegenüber den erwähnten Mängeln gar nicht mehr ins Gewicht.
Linde Großmann