univers parallèles

Zehn neue von Kunstwerken aus dem Louvre inspirierte Stücke für Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Universal Edition, Wien 2014
erschienen in: üben & musizieren 2/2015 , Seite 53

In Fortsetzung ihres der klavierspielenden Jugend zugedachten Bandes Piano Project (2006) legen die Herausgeberinnen eine Sammlung von neun Klavierstücken vor, die der Bildenden Kunst Tribut zollen. Die Komponisten haben sich jeweils ein Bild aus dem Louvre als Kompositionsvorlage ausgewählt. Die Bildmotive können unter einem Internet-Link auf dem Bildschirm betrachtet werden.
Die Umgestaltung bildnerischen Materials in „tönend bewegte Form“ bedient sich am besten eines inspirierenden dritten Movens, sozusagen einer vermittelnden Geschichte; andernfalls droht bildnerische Statik in musikalische Statik umzuschlagen, was nur begrenzten Reiz haben kann. Insofern ist Cristóbal Halffters Deutung eines bekannten Gemäldes von Domenico Ghirlandaio aus dem Jahr 1490 wegweisend: Das anrührende Porträt eines alten, an der Nase entstellten Mannes mit einem kleinen Jungen im Arm wandelt er in eine fiktive Erzählung um und widmet sie seinen eigenen Enkeln. Stark chromatisierte Zweistimmigkeit eintwickelt einen Spannungsbogen zu einem Fortissimo-Ausbruch, bevor das Stück mit einer choralartigen, tonalen Coda schließt.
Auch der mittlerweile 88-jährige György Kurtág verwandelt „sein“ Bild in eine Geschichte: Das Ägyptische Ehepaar, eine 4000 Jahre alte Akazienholz-Skulptur, ist bei ihm „auf dem Weg ins Unbekannte“. Zahlreiche Reibungen in kleinen Sekunden münden in die Schlussnoten cis und gis, die Kurtág mit dem Text „Wo – hin?“ untertitelt.
Auch ein geeignetes Zahlenelement kann einen Schlüssel zur musikalischen Transformation liefern. So deutet der 1975 geborene Italiener Mauro Lanza das 1696 entstandene Stillleben Six coquillages sur une tranche de pierre von Adriaan Coorte in ruhiger, einstimmiger, über mehrere Oktavlagen verteilter Achtelbewegung; das Tonmaterial besteht ausschließlich aus den sieben Tönen der E-Dur-Leiter. Rundung und Ambitus der Tonfiguren mögen die verschiedenen Größen und Formen der Muscheln auf der Steinplatte nachbilden.
Einen eher statischen Ansatz mit Tonrepetitionen, Clustern und modalen Tonleitern verfolgen demgegenüber Hugues Dufourt (Chardin), Gérard Pesson (Poussin), Bruno Mantovani (Spiegel-Selbstporträt von Giovanni Savoldo) sowie Philippe Manoury (Vermeer).
Etwas zu einfach scheint es sich der Österreicher Georg Friedrich Haas mit dem komplexen Braque-Triptychon Rogier van der Weydens gemacht zu haben: Einige dissonante Arpeggien und zwei Folgen aufsteigender Moll-Quartsextakkorde lassen stimmungsmäßige oder strukturelle Querbeziehungen zu Christus, diversen Heiligen oder Totenschädeln nur schwer erkennen. Rembrandts wohl ungewöhnlichstes Bild, der Gehäutete Ochse von 1655, inspirierte Wolfgang Rihm zu einer Akkordstudie mit unappetitlich scharfen, oft clusterhaften Dissonanzen und großen dynamischen Kontrasten.
Rainer Klaas