Doerne, Andreas

„Vernetzter“ Unterricht

Digitale Medien im Instrumentalunterricht: inhaltliche Herausforderung und methodisches Potenzial

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2009 , Seite 24

Neue elektronische Medien sind heute fast schon ein alter Hut. Es gibt kaum mehr einen Bereich des alltäg­lichen Lebens, der nicht durch sie geprägt oder zumindest beeinflusst ist. Vor allem junge Menschen bedienen sich ihrer wie selbstverständlich, fast so als läge die digitale Revo­lu­tion des Alltags nicht erst ein bis zwei Jahrzehnte, sondern bereits ein Jahrhundert zurück. Eine lebenswerte Existenz ohne PC, Internet und Handy liegt für die meisten Unter-30-Jährigen bereits außerhalb des Vorstellbaren. Diese sich vor allem kulturell und sozial auswirkenden Umwälzungen haben auch Konse­quenzen für die Musikpädagogik.

Blickt man auf die Ausbildungssituation an Musikhochschulen, wird deutlich, dass es heute keinen ernst zu nehmenden Schulmusikstudiengang mehr gibt, bei dem die Vermittlung musikdidaktischer Medienkompetenz nicht zu den Pflichtinhalten gehört – nicht zuletzt deshalb, weil die Arbeit mit digitalen Medien im Musikunterricht an allgemein bildenden Schulen bereits fest in den Lehrplänen verankert und in der Unterrichtspraxis etabliert ist.
All das gilt jedoch nicht für die Instrumentalpädagogik. Hier herrscht eine merkwürdige Zurückhaltung gegenüber digitalen Medien, über deren Ursache nur spekuliert werden kann: Hat es damit zu tun, dass MusikerInnen mit ihren primären Medien – der Partitur und dem Instrument – bereits alle Hände voll zu tun haben und keine weiteren, sekun­dären Medien benötigen? Liegt es an der in Bezug auf digitale Medien nach wie vor mangelhaften Ausbildungs- und Fortbildungs­situa­tion speziell für Instrumentallehrkräfte? Oder wurden bisher einfach zu wenig Vorschläge erarbeitet, wie man digitale Medien sinnvoll im Instrumentalunterricht einsetzen kann?
Digitale Medien können auf dreierlei Art und Weise im Instrumentalunterricht eine Rolle spielen: als Lernhilfe, als Lehrhilfe und als Lerninhalt. Konkret geschieht dies durch die Möglichkeiten, die digitale Medien in Bezug auf Musik eröffnen: Man kann mit ihnen Inst­rumentalklänge aufnehmen, wiedergeben und bearbeiten, das Gespielte visualisieren, Musik produzieren und publizieren, neue Klänge oder sogar Instrumente erfinden sowie Partituren erstellen, anhören, in Stimmenauszüge verwandeln und verschicken bzw. öffentlich zugänglich machen. Darüber hinaus bestehen vielfältige musikalisch unspezifische Möglichkeiten des Internets, wie umfangreiche Recherchemöglichkeiten, ein direkter Quellenzugang vor allem zu audiovisuellem Material sowie Plattformen zur sozialen Vernetzung. Im Folgenden gebe ich einige Beispiele für mögliche Anwendungen digitaler Medien im Instrumentalunterricht, bei denen sich diese zahlreichen Einsatzmöglichkeiten durchdringen.

MIDI-Flügel in ­Klavierunterricht und Korrepetition

Bereits in den 1980er Jahren wurden von Yamaha und Bösendorfer midifizierte Flügel entwickelt und auf den Markt gebracht.1 Diese Instrumente sind so ausgestattet, dass alle Spielaktionen auf der Tastatur und mit den Pedalen in MIDI-Signale umgewandelt, in einzelne Parameter (Tonhöhe, Tonlänge, Anschlagsgeschwindigkeit des Hammers, Tiefe der Pedalbewegung etc.) zerlegt und so im Detail aufgezeichnet werden können. Entscheidend an dieser neuartigen Verknüpfung von digitaler Technik und realer Klangerzeugung eines herkömmlichen Instruments ist jedoch, dass der Flügel mittels einer ausgeklügelten Magnet- und Motorsteuerung von Hämmerchen und Pedalen die aufgezeichneten Daten exakt wiedergeben kann: Wie von Geisterhand bewegen sich Tasten und Pedale und reproduzieren so das Gespielte nicht über Lautsprecher, sondern real über Saiten und Korpus des Instruments. Anders als bei der schon Ende des 19. Jahrhunderts entwi­ckelten Technik der Player Pianos2 kann man hier die Parameter jedes einzelnen Tons am Computer verändern.

1 Yamaha ist mit der mittlerweile vierten Generation von Disklavieren am Markt vertreten, deren Grayscale-Hammersensoren jede (auch stumme) Bewegung der Tasten registrieren und reproduzieren können. Bösendorfer hat mit der Computerflügel-Reihe CEUS ein eigenes System entwickelt, das nicht mit der MIDI-typischen Skalierung von 128 Stufen arbeitet, sondern eine deutlich feinere Auflösungen besitzt; vgl. http://de.yamaha.com/de/ products/musical_instruments/keyboards/disklaviers sowie www.boesendorfer.com/de/ceus-privat.html.
2 Selbstspielklaviere, die das Aufnehmen auf und Abspielen von einer Lochstreifenrolle erlauben.

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