Hünemörder, Katrin
Virtuelle Chorwelten
Eine interaktive Plattform zur Stärkung von Teilhabe und Demokratie in Chören
Chöre, die während pandemiebedingter Einschränkungen durch digitale Lösungen den Kontakt mit ihren SängerInnen halten konnten, haben die Chorarbeit nach Aufhebung der Einschränkungen meist recht problemlos fortsetzen können. Dabei sind neben probenpädagogischen Fragen neue gesellschaftliche Fragen aufgekommen: Wie wird unser Chor ein Ort der Demokratie? Welche Möglichkeiten der Beteiligung gibt es gerade für junge SängerInnen? Tun wir genug dafür, dass alle Zugang zu unserem Chor oder Verband haben?
Die Welt stand für viele ChorsängerInnen Kopf, als es während der Pandemie plötzlich hieß, Singen sei ein gefährliches Hobby. Da analoges Zusammentreffen für lange Zeit nicht einmal im Freien erlaubt war, mussten kreative Lösungen her. ChorleiterInnen und Chorverbände fanden sehr vielfältige Formen, um Chorarbeit weiter stattfinden zu lassen: Neue Stücke wurden in Videokonferenzen eingeübt, Mitsing-Dateien wurden über Messengerdienste verschickt und technisch versiertere ChorleiterInnen griffen auf Programme zurück, die synchrone Proben online ermöglichten. Darüber hinaus nutzten viele Chöre die Zeit, um ihre Arbeit auf Social-Media-Kanälen zu präsentieren. Letzteres bestätigt Veronika Schmitt, Projektmanagerin der Deutschen Chorjugend für kreative Lösungen während der Pandemie: „Viele Chöre haben ihre Social-Media-Präsenz extrem ausgebaut auf Instagram, Facebook, Twitter. Auf YouTube ist auch viel passiert, es wurden viele Split-Screen-Videos produziert […]. Das war so ein bisschen ein Ersatz für die Konzerte – man singt zwar nicht zusammen, aber das Ergebnis ist zusammen.“1
Neben der musikalischen und probenpädagogischen Arbeit drängten sich aber auch weitere Fragen zu gesellschaftlichen Themen auf, die zu bundesweiten Vernetzungen und Wissensaustauschen führten. So trafen sich beispielsweise in den „digitalen Inspire Sessions“ der Deutschen Chorjugend wöchentlich teilweise über einhundert Chorleitende, um sich zu Themen wie „digitale Chorarbeit“, „Nachhaltigkeit im Chor“ oder „Kinderschutz und Kinderrechte“ auszutauschen. Ebenfalls als gesellschaftlicher Beitrag ist der größte virtuelle Chor Deutschlands zu nennen, der unter anderem von der Deutschen Chorjugend initiiert wurde und tausende Stimmen zu einem musikalischen Statement für Vielfalt und Toleranz vereinte. Mira Faltlhauser, Bundesvorsitzende der Deutschen Chorjugend, sagte anlässlich des World Voice Days im April 2021: „Jeder und jede hat eine Stimme, um unsere Gesellschaft auf vielfältige Art und Weise mitzugestalten. Als Deutsche Chorjugend nutzen wir unsere Stimmen jeden Tag und sind laut für eine bunte Gesellschaft, denn zusammen singen wir stärker.“2
Und schließlich nahm im Rahmen des Bundesprogramms „Zusammenhalt durch Teilhabe“ der Bundeszentrale für politische Bildung Mitte 2020 das Projekt „re:mix – Jugend singt und mischt sich ein“ – eine Kooperation der Deutschen Chorjugend und mediale pfade, einem bundesweit agierenden Verein für politische Bildung und Medienbildung – seine Arbeit auf. Ziel des Projekts war und ist es, durch innovative digitale Methoden Chöre und Chorverbände als Erfahrungsorte gelebter Demokratie zu stärken, neue Formen der Beteiligung zu erproben und zur Stärkung innerverbandlicher Demokratie und Teilhabe beizutragen. Die Geschäftsführerin der Deutschen Chorjugend Anna Wiebe ist der Ansicht: „Es wäre genial, wenn wir in der Chorjugend den Zustand erreichen würden, dass Kinder und Jugendliche in jede Entscheidung, die ihren Alltag und ihre Realität betrifft, einbezogen werden.“3
Als eines der vielen Projektergebnisse sind die „virtuellen Chorwelten“ entstanden: eine multimediale Plattform und Toolbox, auf der Chöre und Chorverbände gemeinsam lernen, interagieren und musizieren können, aber auch Unterstützung erhalten, wie sie ihre Chorarbeit z. B. in Social Media sichtbarer machen oder sich besser vernetzen und organisieren können. Wie das genau aussieht, kann man sich unter www.virtuelle-chorwelten.de anschauen.
Interaktive Chorleben-Welt
Die Chorleben-Welt ist ein interaktiver digitaler Ort für Chöre und Chorverbände in topia.io, einer interoperablen Webplattform, auf der gemeinsam gespielt und gearbeitet sowie sich ausgetauscht werden kann und eine große digitale Chor-Community entstehen soll. Dort versammeln sich Chöre und SängerInnen, um Livestreamings von Konzerten mitzuerleben, um neue Ideen für den Chor zu entwickeln oder einfach nur um Zeit miteinander zu verbringen. Gemeinsam und in Echtzeit ist es möglich, diese virtuelle Welt um eigene Objekte, Zeichnungen oder Medien zu erweitern. Chöre und Chorverbände sind eingeladen, der Chorwelt ihre eigene Farbe und Identität zu verleihen. Während sich auf vielen digitalen Plattformen der Austausch oftmals nur auf die Nutzung innerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen beschränkt, eröffnet die Chorleben-Welt eine neue Form der Partizipation: die Mitgestaltung der eigenen digitalen Lernumgebung.
Lernreise Vielfalt und Teilhabe
Als Orte, wo Gemeinschaft gelebt und gefeiert wird, leisten Chöre einen großen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Durch Konzerte und öffentliche Auftritte besitzen sie ein hohes Identifikationspotenzial für ihr Publikum. Über die inhaltliche Auswahl des Repertoires können Chöre ihre Stimme nutzen, um sich an gesellschaftlichen Diskursen zu beteiligen. Eine diverse Zusammensetzung der Gruppe bietet nicht nur ihren Mitgliedern die Möglichkeit des Perspektivwechsels, sondern sorgt auch für ein diverseres Publikum und damit einen Zugang zu Kultur und kultureller Bildung für mehr Menschen.
Unter diesem Gesichtspunkt wurden neben der Chorleben-Welt verschiedene thematische Lernpfade für Chöre entwickelt. Ein Beispiel für einen solchen Lernpfad ist die „Lernreise Vielfalt und Teilhabe“. Die Lernreise ist eine in der Plattform topia erschaffene Workshopwelt rund um Themen wie Diversität, Intersektionalität, Privilegien oder Diskriminierung und bietet Chören eine Plattform, Hintergrundinformationen sowie eine detaillierte methodische Anleitung, um sich eine eigene Haltung zu diesen Themen zu erarbeiten und einen eigenen kleinen Aktionsplan für ein gutes Miteinander im Chor und für die Gemeinschaft zu entwickeln.
1 Kolbe, Christine: „Zusammen singen wir stärker – auch remote“. Gespräch von Katrin Hünemörder mit Veronika Schmitt, 2021, mediale pfade, https://medialepfade.org/2021/08/rp21-veronika/ (Stand: 20.10.2022).
2 Mira Faltlhauser in einem Instagram-Post zum World Voice Day,16.04.2021, www.instagram.com/ p/CNuYrHVi12s (Stand: 20.10.2022).
3 Anna Wiebe, zit. nach dem Webvideo „Die Chorjugend – ein Demokratie Hotspot“, https://youtu.be/HrCf2uDEuhQ&t=13s (Stand: 20.10.2022).
Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2022.