Halsey, Simon / mit Wiebke Roloff
Vom Konzept zum Konzert
Schott Master Class Chorleitung, mit 2 DVDs
Das Wichtigste schreibt der Autor gleich zu Anfang: „Ein Großteil meiner Arbeit besteht aus Einstudierungen, mit denen wahrscheinlich nur wenige von Ihnen zu tun haben.“ Wie wahr – denn Simon Halsey, Dirigent des Rundfunkchors Berlin, stellt in seinem durchaus gut gemachten Chorleitungsbuch Vom Konzept zum Konzert ein Arbeitsfeld vor, welches in diesem Umfang zu beackern in Deutschland wohl so gut wie niemand berufen ist. Und so muss man von Halseys Tour d’horizont zum umfassenden Gebiet der Chordirektion einige Abstriche machen; man muss Passagen auslassen oder den Transfer bewältigen, die durchaus zwingenden und praktikablen Ratschläge in seinen eigenen, oft mühsamen Bereich zu übertragen.
Hadyns Schöpfung, Brahms’ Requiem, Lauridsens O magnum mysterium, Tippets A Child of Our Time – das sind in etwa die vom Autor abgesteckten Grenzen, innerhalb derer sich der Leser zurechtfinden soll. Und spätestens bei Halseys detaillierten Probenhinweisen zu der schweren Ges-Dur-a-cappella-Passage „Aufersteh’n, ja aufersteh’n“ aus Mahlers 2. Symphonie für eine Aufführung mit den Berliner Philharmonikern wird manch ein Chorleiter seufzen: Diese Probleme möchte ich gerne haben!
Die Realität der Chorarbeit in Deutschland also wird wohl bewusst ausgeblendet, obwohl der Deutsche Chorverband als Mitherausgeber fungiert. Und dieses Realitätsdreieck reicht bekanntermaßen von der Überalterung der meisten Chöre über Finanzprobleme bis hin zur Orientierungsunsicherheit bei der Programmauswahl.
Dennoch – Halseys Buch kann man durchaus mit Gewinn lesen. Denn wesentliche Kernpunkte einer „normalen“ Chorarbeit werden umfassend dargestellt: Programmplanung, detailliertes Partiturstudium, Chorpsychologie, Praxis der Probenarbeit, Erstellung von Probenplänen – bei all diesen Punkten stört am wenigsten, dass Halsey in der Art einer „Masterclass“ seine eigenen Erfahrungen als Orientierung anbietet. Denn wer es schafft, die vielen autobiografischen Einschübe des Autors zu überspringen, kann – teils mit Vergnügen – für seine eigene Arbeit profitieren. Dabei sind dann auch die beigefügten DVDs hilfreich, welche Halsey als praktisch arbeitenden Dirigenten zeigen und somit den Textteil des Buchs veranschaulichen.
Einige kleine Ungereimtheiten stören. Auf Seite 184 empfiehlt Halsey: „Man beginnt, indem man einen Schlag vorweg gibt.“ Die DVD dokumentiert leider das Gegenteil, wenn Halsey bei Mendelssohns Neujahrslied partout zwei Vorbereitungsschläge gibt. Und der Verlag sollte auf Seite 111 den untersten Ton des Anfangsakkords im Keyboard zum fis korrigieren. Den Olymp der Arbeit mit Profichören kann man dann auf der zweiten DVD sehen und hören, wenn Simon Rattle sich im Konzert der im Buch besprochenen Ges-Dur-Passage aus Mahlers 2. Symphonie annimmt.
Thomas Krämer