Wartberg, Kerstin

Vorspiel-Training

Violinstücke der Mittelstufe mit Übungsanleitungen, Band 1, mit 2 CDs

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Peters, Frankfurt am Main 2011
erschienen in: üben & musizieren 1/2012 , Seite 60

Etwas stiller geworden ist es um die Suzuki-Methode. In den 60er und 70er Jahren umgab sie die Aura des Spektakulären, hervorgerufen durch Showauftritte großer Scharen von Kindern, die in recht frühem Alter erstaunliche geigerische Leistungen vollbrachten. Was lag also näher, als sich mit der Methode des japanischen Wunderpädagogen auseinanderzusetzen. Auch der Verband deutscher Musikschulen prüfte in einem Modellversuch, ob die Methode sich zur Übertragung auf den deutschen Musikschulunterricht eigne. Schnell entdeckte man jedoch , dass der japanische Pädagoge sich alter deutscher Geigentechnik bediente und sein Weg eher der einer Philosophie war, die nur bedingt nach Europa übertragbar ist. Mit Sheila Nelson, Paul Rolland und vielen jüngeren PädagogInnen ist die violinpädagogische Entwicklung weitergegangen und man besinnt sich heute eher auf die ganzheitliche Pers­pektive dieses Weges.
Dass Kerstin Wartbergs Vorspiel-Training sich ganz hierauf beruft, wird am Geleitwort von Shinichi Suzuki, immerhin bereits aus dem Jahr 1994, deutlich. Eine der herausragenden Ambitionen dieses geigenpädagogischen Wegs ist die Orientierung am schönen Klang. Diesem Ziel wird offensichtlich auch die Literaturauswahl gerecht, die sich bezüglich des Leistungsvermögens am Level des Suzuki-Bands IV orientiert. Dies bedeutet aber auch eine nahezu ausschließliche Orientierung am Klangideal von Barock bis Romantik – einer der Hauptkritikpunkte an der Suzuki-Methode.
Nichtsdestotrotz: Die Literaturauswahl ist reizvoll, die klangliche Orientierungshilfe wird wie üblich durch Audio-CDs in guter Qualität gegeben. Fiddle-Stücke hören sich hier allerdings genauso an wie ein virtuoses Violinstück aus der Zeit um 1900.
Das Vorspiel-Training stellt weniger, wie der Titel leicht suggerieren könnte, eine Art Disposi­tionstraining als eine detaillierte Übeanleitung zur fundierten ­Entwicklung der grundlegenden Violintechnik dar; als progressive „Violinliteratursammlung, die nach dem bewährten ,Drei-Tempi-Übungsprinzip‘“ arbeitet, wie Kerstin Wartberg unterstreicht. Sämtliche Stücke sind versehen mit eingehenden Übungen und kleinen Vorbereitungsstückchen sowie instruktiven Fotos zu technischen Problemen.
Nicht alles ist neu – schon Küchler hat Vivaldis Konzerte durch kleine vereinfachte Übungsversionen vorbereitet –, doch bietet der vorliegende Band eine Fülle von Materialien, die auch im modernen Violinunterricht nach wie vor sinnvoll einsetzbar sind. Etwas störend empfinde ich das Festhalten an der alten Vorstellung der Einteilung des Leistungsvermögens der jungen ViolinistInnen in die Kategorien „Unter-, Mittel- und Oberstufe“. Die Grenzen sind doch wohl eher fließend.
Uwe Gäb