Erdmann, Bettina

Wegweisendes Urteil

Musikschullehrerin aus Nordrhein-Westfalen errang vor Gericht Festanstellung

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 2/2015 , musikschule )) DIREKT, Seite 05

Helene H. ist mit Leib und Seele Musikschullehrerin. „Schon als kleines Mädchen war das mein Wunschberuf.“ Seit mehr als einem Jahrzehnt unterrichtet sie an der zwischen Bonn und Köln liegenden Musikschule Niederkassel Flöte und Klavier im Gruppen- und Einzelunterricht, kümmert sich um musikalische Früherziehung und den Musikpavillon. Sie absolviert das ganze Programm einer hochqualifizierten Musikschullehrkraft, leistet die gleiche Arbeit wie ihre fest angestellten Kolleginnen und Kollegen. Allerdings bislang auf eigenes Risiko per Honorarvertrag als Freie – schlechter entlohnt, schlechter abgesichert, ohne gesetzliche Sozialver­sicherung, ohne bezahlten Urlaub und Krankheit. Das sei offenbar bundesweit Usus, erklärt Helene H., die auch die Auseinandersetzungen in Berlin verfolgt. Um Kosten zu sparen, würden ausscheidende festangestellte Lehrkräfte durch Freie ersetzt – bei ihr an der Schule bereits 2003.
Ins Rollen kam für Helene H. alles mit einer Statusfeststellung zur Scheinselbstständigkeit über die Künstlersozialkasse und die Rentenversicherung: Bei der Musiklehrerin läge eine versicherungspflichtige Tätigkeit und damit ein „richtiges“ Arbeitsverhältnis anstelle einer freien Mitwirkung vor. Die Musikschule und mit ihr die Stadt als Vertragspartnerin für die Honorarkräfte bestritten das. Sie argumentierten, dass Helene H. keinen Weisungen hinsichtlich Zeit, Ort, Art und Weise der Tätigkeit unterliege, die Teilnahme an Kon­ferenzen und Vorspielen freiwillig sei. Sie sei nicht fest angestellt, unterliege demzufolge auch keiner Versicherungspflicht.
Die Sache entwickelte sich zu einer komplizierten gerichtlichen Auseinandersetzung, landete in erster und zweiter Instanz vor dem Sozialgericht Köln und dem Landessozialgericht NRW in Essen, zudem vorm Arbeitsgericht Siegburg. Helene H. klagte mit Hilfe des Kölner Büros der DGB Rechtsschutz GmbH, für das Berufungsverfahren wurde ver.di-Hilfe vom Landesbezirk NRW in Düsseldorf in Anspruch genommen.
Übereinstimmend befanden die Richter bei Prüfung des Vertrags, der für alle Lehrkräfte verbindlichen Schulordnung und der schulischen Praxis, dass bei Helene H. von einem Arbeitsverhältnis anstatt einer freien Tätigkeit auszugehen sei. Denn sie unterliege dem Weisungsrecht des Arbeitgebers und sei von ihm in einem hohen Maß persönlich abhängig. Der Arbeitsort sei nicht frei wählbar, die Bedingungen wären vorgegeben. Demzufolge sei sie als abhängig Beschäftigte einzustufen.
Ulrike Komp, Teamleiterin bei der Kölner DGB Rechtsschutz GmbH, deren Rechtssekretärin die Musiklehrerin vor dem Arbeitsgericht Siegburg vertrat, kommentiert die Entscheidung: „Nach meiner Ansicht ist die Direktorin des Arbeitsgerichts Siegburg von der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung ausgegangen. Sie hat zutreffend die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Arbeitnehmerschaft im Gegensatz zur Honorarkraft ausgeführt und hat – da wir gemeinsam mit der Klägerin die entsprechenden Angaben machen konnten – festgestellt, dass die Klägerin Arbeitnehmerin und nicht Honorarkraft ist.“ Richtigerweise sei das Gericht vom tatsächlichen Sachverhalt und nicht etwa von der vertraglichen Regelung ausgegangen – jedenfalls dann, wenn sich Vertrag und tatsächliches Praktizieren nicht deckten.
„Für die Frage eines freien Mitarbeitervertrags oder eines Arbeitsverhältnisses ist wesentlich“, erläutert Komp, „wie intensiv die Beschäftigte in den Unterrichtsbetrieb des Arbeitgebers eingebunden ist, inwieweit sie Unterrichtsinhalt und -erteilung, ihre Arbeitszeit und die weiteren Umstände der Dienstleistung mitgestalten kann oder nicht. Tatsächlich widersprachen sich sogar der Arbeitsvertrag und die darin in Bezug genommene Musikschulordnung.“ Das Gericht habe hierzu argumentiert, dass die Klägerin „den Ort der Arbeitsleistung nicht verhandeln kann, wenn sie tatsächlich keinen Verhandlungsspielraum hat.“
Weitere entscheidende Gesichtspunkte wie Zuweisung der Schüler an die Musikschullehrer, Unterrichtsdauer, Unterrichtshäufigkeit, Bindung an die Lehrpläne des Verbands deutscher Musikschulen, Teilnahme an Vorspielen, Musikveranstaltungen und anderes sprachen alle zugunsten der Klägerin. „Somit bejahte das Arbeitsgericht die Eingliederung von Frau H. in den Betrieb der Musikschule.“
Helene H. ist erleichtert, nun auch die gerichtliche Einigung hinter sich zu haben. Die Stadt hat in zweiter Instanz eingelenkt. Die Musiklehrerin bekommt rückwirkend zum 1.9.2003 einen festen Vertrag mit einer Nachzahlung, wird künftig nach Tarif Öffentlicher Dienst entlohnt.

Urteile:
Arbeitsgericht Siegburg, 13.3.2014: Ca 2618/13, Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, 27.11.2013, L 8 R 148/12