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Röbke, Peter

Weiterlernen anders denken

Ein Vorschlag zur Weiterbildung von Musikschul­lehrkräften und zur Wissensentwicklung an Musikschulen

Rubrik: Musikschule
erschienen in: üben & musizieren 6/2025 , Seite 38

Das in reichem Maße vorhandene „stumme“ Expertenwissen von Musikschullehrkräften sollte ebensowenig übersehen werden wie die Möglichkeit, dieses im Alltag der Musikschule weiterzuentwickeln. In diesem Beitrag soll gezeigt werden, wie durch interne Weiterbildung im Sinne der Bewirt­schaftung einer gemeinsamen „Wissens­allmende“ zur Professionalisierung beigetragen werden kann.

Ich schlage ein beliebiges Fortbildungsprogramm eines Musikschullandesverbands auf: Ohne Frage sind Angebote wie der Umgang mit digitalen Medien für analog geprägte Lehrkräfte sinnvoll, auch stelle ich die bewährten Exkursionen in stilistisches Neuland (nach dem Muster „Pop für KlassikerInnen“) nicht in Frage. Sinnvoll ist es sicher auch, mit erfahrenen Lehrkräften über die gesellschaftspolitischen Implikationen ihrer Tätigkeit an der Institution Musikschule ins Gespräch zu kommen, also Fragen nach Diversität, Inklusion, Nachhaltigkeit oder regionaler Musikkultur aufzuwerfen.
Mein Stirnrunzeln beginnt bei den gut bestückten Angeboten für alle musikpädagogischen Lebenslagen, jenen Offerten mit Vademecum-Charakter, die kontextfrei Antworten auf alle Probleme verheißen und einen erfolgreichen Instrumentalunterricht mit Sicherheit versprechen. Ich kann mir nicht helfen (und ich weiß, dass ich ungerecht bin), aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass das Wissen und Können der bei einer solchen Weiterbildung anwesenden Lehrkräfte latent entwertet und deren realen Problemen mit einer Art musikpädagogischem Bauchladen begegnet wird.

Zur didaktischen Illusion in der Weiterbildung

Können der Kern und die Substanz des Handlungswissens der erfahrenen Musikschullehrkräfte an den Wochenenden in der Weiterbildungsakademie überhaupt erreicht und weiterentwickelt werden, wenn dieses Wissen und Können seiner Natur nach ein implizites und stummes ist, eines, das oft auch nur schwer zu verbalisieren ist? Nicht ohne Grund betitelt Georg Hans Neuweg, der sich wie kein anderer mit dem Professionswissen von Lehrenden befasst hat, seine „Gesammelten Schriften zum impliziten Wissen“ mit Das Schweigen der Könner.1
Mir scheint, dass manches, was auf dem Weiterbildungsmarkt angeboten wird, einer didaktischen Illusion unterliegt, die Neuweg so ironisiert: „Das ist doch der didaktische Traum an sich […], Erfahrungen auf Sprache abbilden, dozieren und auf diese Weise anderen Erfahrungen ersparen. ‚Get five years of experience in one week!‘ – das ist es doch, was gute Seminare auszeichnet. Wozu der Umweg über prob­lem-based, wenn es auch speech-based und damit womöglich kürzer geht?“2 Und Neuweg formuliert sogleich, was auf der anderen Seite die Bedingungen dafür wären, dass Wissen wirklich in Bewegung kommt: „Vielleicht nämlich setzt der Transfer von Wissen den persönlichen Kontakt voraus, ein Miteinanderreden und -leben, geteilte Erfahrungen, ein Vorzeigen und Nachmachen, ein Nachfragen, ein Sozialisiertwerden.“3 Damit ist einmal eine Tonalität gesetzt, werden erfüllte (Begegnungs- und Gesprächs-) Räume und ausgedehnte Zeitstrecken gefordert.

Personal Knowledge und ­Praxiswissen externalisieren

Ausgangspunkt der nachstehenden Erwägungen ist die Einsicht, dass pädagogisches Wissen und Können ein personal knowledge ist: Es ist essenziell und individuell an die Person gebunden, deren singuläre Handlungslogiken in ein oder zwei Tagen „Weiterbildung“ wohl nicht erreicht und angesprochen werden können. Die teilnehmenden Lehrkräfte sind ja keine unbeschriebenen Blätter, deren Können prinzipiell defizitär wäre, sondern sie sind samt und sonders selbst im Besitz reichhaltiger Schätze didaktischen Anwendungswissens, sind dabei allerdings vor den blinden Flecken der Routine (der „impliziten Blindheit“) und der Gefahr erstarrter Handlungsmuster und eingefahrener Praktiken nicht gefeit, sodass die Forderung nach einer Weiterentwicklung dieses Praxiswissens schon erhoben werden sollte, also Fragen gestellt werden können wie: Wie kann das stumme Wissen der Könner expliziert und externalisiert werden, wie kann es in Kontakt und Auseinandersetzung mit dem Wissen anderer ExpertInnen kommen, wie können BerufsanfängerInnen auf dem Weg der Sozialisierung von diesem Wissen profitieren, wie kann expliziertes Wissen auch wieder verinnerlicht werden?4
Neben der Inspiration durch die angedeuteten theoretischen Bezüge steht der Verfasser dieser Zeilen auch unter dem Eindruck von Hospitationen im Unterricht, Besuchen in Klassenabenden und Konzerten und – auf dieser Basis – etwa zwanzig langen und intensiven Gesprächen mit KollegInnen5 einer Musikschule im nördlichen Weinviertel im österreichischen Bundesland Niederösterreich.
In den Hospitationen bin ich durchweg auf ein kompetentes Lehrerhandeln gestoßen, das – wie Wolfgang Lessing schön beschrieben hat – „in hohem Maße auf einem […] impliziten Können fußt. Dieses Können äußert sich etwa in einem Gefühl dafür, wie lang eine Spannungspause beim Sprechen sein darf, wann der Aufmerksamkeitsgrad der Schüler/innen während einer bestimmten Unterrichtsphase erschöpft ist, wann ein Methodenwechsel notwendig ist, in welchem Moment ein Lob seine ihm zu­gedachte Funktion erfüllt, wann das eigene Vorspielen zu erhöhter Motivation führt bzw. wann es die Eigenaktivität der Schüler/innen eher bremst, wann Störungen unterbunden oder vielleicht nicht doch besser ignoriert werden müssen – und so weiter.“6

1 Neuweg, Georg Hans: Das Schweigen der Kön­ner. Gesammelte Schriften zum impliziten Wissen, Münster 2015.
2 Neuweg, S. 20.
3 Neuweg, S. 20 f.
4 Hier klingen die zentralen Elemente des SECI-Modells nach Ikujiro Nonaka und Hirotaka Takeu­chi an, das die spiralige Dynamik des Zusammenspiels von Socialisation, Externalisation, Combination und Internalization entfaltet und dabei nicht nur die Evolution des individuellen Wissens im Auge hat, sondern auch die Entwicklung der Ins­titution zu einer Wissen schaffenden Organisation: Nonaka, Ikujiro/Takeuchi, Hirotaka: Die Organisation des Wissens. Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen, Frankfurt am Main 1997; siehe auch den instruk­tiven Wikipedia-Eintrag dazu.
5 Diese Gespräche standen im Zusammenhang des Projekts „Nachhaltigkeit in der Musikschularbeit“; siehe den Beitrag des Verfassers dazu in üben & musizieren 5/2025.
6 Lessing, Wolfgang: „Begleitung und Bewertung studentischer Unterrichtspraxis“, in: Waloschek, Anna Maria/Gruhle, Constanze (Hg.): Die Kunst der Lehre. Ein Praxishandbuch für Lehrende an Musikhochschulen, Münster 2022, S. 512.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2025.

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