Masopust, Andreas

Wenn die Nachbarn durchdrehen…

Die Rechtslage zum Musizieren und Unterrichten zu Hause ist oft nicht einfach zu durchschauen

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 6/2014 , musikschule )) DIREKT, Seite 04

Was für den einen zu den schönen Seiten des Lebens gehört, kann für den anderen einfach nur lästig sein. Schon Wilhelm Busch hat den Zwiespalt zwischen Musikausübung und unfreiwilligem Zuhören hu­morvoll auf den Punkt gebracht. Leider fehlt bis zum heutigen Tag eine gesetzliche Regelung dieses Konflikts, die Klarheit über den zulässigen Umfang des häuslichen Mu­sizierens geben könnte. Insofern verwundert es auch nicht, dass dieses Thema immer wieder Anlass zu Streitigkeiten gibt und daher bei der Beschreibung der Rechtslage eine Vielzahl von Gerichts­urteilen beachtet werden muss. Da stets auf eine konkrete Situation bezogen, fallen die entsprechenden Urteile auf den ersten Blick teilweise zwar unterschiedlich aus. Gleichwohl können hieraus allgemein gültige Regeln über die Rechtslage abgeleitet werden.

Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit

Grundsätzlich gilt zunächst, dass das Musizieren zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gehört, welches durch das Grundgesetz geschützt ist. Insofern ist ein absolutes Musizierverbot in den eigenen vier Wänden unzulässig. Auch auf die Qualität des Musizierens kommt es erfreulicherweise nicht an. Es macht also keinen Unterschied, ob zu einem Hauskonzert geladen wird oder ob Etüden geübt werden müssen.1
Im Sinne eines guten nachbarschaftlichen Verhältnisses sollte aber dennoch monotones Üben an Sonn- und Feiertagen sowie in den Abendstunden die Ausnahme sein. Das Musizieren ist insoweit nämlich durch das Gebot der Rücksichtnahme gegenüber Nachbarn eingeschränkt. Die rechtlichen Grundlagen finden sich u. a. im Bürger­lichen Gesetzbuch (BGB) in den Abschnitten zum Miet- (§§ 535 ff. BGB) bzw. Eigentumsrecht (§§ 903 ff. BGB).

Hausordnung muss beachtet werden

Sofern spezielle Regelungen existieren wie beispielsweise eine Hausordnung als Anlage zum Mietvertrag bzw. ein Mehrheits­beschluss einer Eigentümerversammlung sind die dort getroffenen Vereinbarungen zu beachten. Teilweise sind in den Hausordnungen jedoch nur die üblichen Ruhezeiten von 13 bis 15 Uhr bzw. von 22 bis 7 Uhr enthalten, sodass in den übrigen Zeiten grundsätzlich auch musiziert werden darf.
Dies allein sagt allerdings noch nichts über die Dauer des erlaubten Musizierens. Wenn das Musizieren in Zimmerlautstärke erfolgt, wird es keine Einschränkungen der Musizierdauer geben, was sich insofern günstig für das Spielen leiser Instrumente erweist. Da die allermeisten Instrumente den Zimmerlautstärkepegel jedoch überschreiten, ist eine Begrenzung immer dann vorzunehmen, wenn Nachbarn durch die Musikausübung unzumutbar beeinträchtigt werden.
Die Frage, wann diese Grenze erreicht ist, das heißt wann sich der Nachbar gestört fühlen darf, ist nicht von der konkreten Per­son und deren höchst subjektiven Wahrnehmungen abhängig. Maßstab ist vielmehr das Empfinden eines durchschnitt­lichen Bewohners. Durch Messungen kann der beim Nachbarn ankommende Schallpegel exakt festgestellt werden.
Die Überschreitung geltender Richtwerte, wie sie beispielsweise in der technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm) oder der schalldämmtechnischen Norm DIN 4109 ausgewiesen sind, spricht allein jedoch nicht automatisch für eine Beeinträchtigung. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus auch alle übrigen Immis­sionsquellen, die auf die jeweilige Wohnung einwirken.
So darf sich ein Nachbar durch Musizieren eher weniger gestört fühlen, wenn der in der Wohnung durch Straßengeräusche oder durch die Waschmaschine des Nachbarn verursachte Lautstärkepegel genauso hoch oder gar höher ist. Auch eine besonders hellhörige Wohnung geht zu Lasten des Vermieters.2 Ein sorgfältig prüfender Richter wird in der Regel daher vor Ort eine Besichtigung durchführen, um sich aus erster Hand einen unmittelbaren Eindruck zu verschaffen.

Zwei bis vier Stunden ­Musizieren pro Tag

Nach allgemeiner Auffassung ist die zeit­liche Begrenzung des Musizierens auf eine bestimmte Stundenanzahl zulässig.3 Wenn es jedoch konkret wird, scheiden sich die Geister. Das Landgericht Frankfurt am Main hat eine tägliche Musizierdauer von fünf Stunden auf dem Klavier für zulässig erachtet.4 Demgegenüber hält das Bayerische Oberste Landesgericht drei Stunden,5 das Oberlandesgericht Frankfurt nur anderthalb Stunden6 Klavierspiel am Tag für ausreichend.
Im Fall eines Klarinetten- und Saxofonspielers waren es werktäglich zwei und sonntags eine Stunde.7 Nur anderthalb Stunden wurden einem Akkordeonisten8 bzw. einem Schlagzeuger zugebilligt, wobei Letzterer nicht nach 19 Uhr und im Sommer nur 45 Minuten wegen der sich im Garten aufhaltenden Nachbarn üben durfte.9
Grundsätzlich kann man von einer Zeitbegrenzung zwischen zwei und vier Stunden ausgehen, die vom Prinzip her unabhängig von der Anzahl der im Haushalt musizierenden Familienmitglieder gilt. Berufsmusiker bzw. Musikstudenten können diesbezüglich auch keine Sonderrechte geltend machen.10

Regelungen vereinbaren!

Etwas anderes gilt jedoch, wenn im Mietvertrag beispielsweise die Erteilung von Instrumentalunterricht dem Grunde nach genehmigt wurde. Dann kann unter Umständen sogar acht Stunden werktags und sechs Stunden sonn- und feiertags musiziert werden.11 Insofern ist vor Abschluss eines Miet- oder Kaufvertrags dringend zu empfehlen, Regelungen über das Musizieren bzw. Unterrichten zu vereinbaren. Geschieht dies nicht, kann dies unangenehme Folgen haben. So hat der Bundesgerichtshof jüngst die Kündigung eines Mietverhältnisses bestätigt, weil der dortige Mieter ohne Genehmigung Gitarrenunterricht erteilt hat.12
Bevor es also zu einem Konflikt kommt, sollte nach einvernehmlichen Lösungsmöglichkeiten gesucht werden. Denkbar sind dabei auch Schalldämmungsmaßnahmen, zumal diese nicht nur beim Musizierenden, sondern auch beim Nachbarn möglich sind. Selbst ein gewonnener Rechtsstreit garantiert nämlich noch kein gutes nachbarschaftliches Verhältnis, denn wie heißt es doch bei Wilhelm Busch: „Oft wird es einem sehr verdacht, wenn er Geräusch nach Noten macht“.13

1 Landgericht Düsseldorf, Az. 22 S 574/89.
2 Landgericht Mannheim, Az. 5 S 175/59.
3 u. a. Bundesgerichtshof, Az. V ZB 11/98; Oberlandesgericht Zweibrücken, Az. 3 W 48/90.
4 Landgericht Frankfurt/Main, Az. 2/25 O 359/89.
5 Bayerisches Oberstes Landesgericht, Az. 2 Z 8/85.
6 Oberlandesgericht Frankfurt, Az. 20 W 148/84.
7 Oberlandesgericht Karlsruhe, Az. 6 U 30/87.
8 Landgericht Kleve, Az. 6 S 70/90.
9 Landgericht Nürnberg-Fürth, Az. 13 S 5296/90.
10 Bayerisches Oberstes Landesgericht, Az. 2 Z 8/85.
11 Landgericht Flensburg, Az. 7 S 167/92.
12 Bundesgerichtshof, Az. VIII ZR 213/12.
13 Wilhelm Busch: Fipps der Affe, Kapitel 9.

* Wilhelm Busch: Dideldum. Der Maulwurf.