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Klopsch, Kirsten

Wer will hier was von wem?

Ein systemischer Blick zur Klärung von Auftrag und Ziel im ­Instrumentalunterricht mit Kindern

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 4/2024 , Seite 30

Dieser Beitrag möchte dazu einladen, Methoden aus der Systemischen Pädagogik und Beratung zur Klärung von Auftrag und Ziel kennenzulernen. Denn fehlende Zielfindung und Auftragsklärung mit SchülerInnen und Eltern können zu Missverständnissen, Verunsicherungen, Frustrationen und im schlimmsten Fall zur Abmeldung der SchülerInnen führen. Dabei werden die Unterschiedlichkeiten in den Wünschen, Erwartungen und Lebenswirklichkeiten von SchülerInnen als Chance und Ressource wahrgenommen und für den Lernprozess nutzbar gemacht.

„Hätte ich Ihre Fragen schon gekannt, wäre mir das nie passiert!“, teilte mir offenherzig ein Klavierpädagoge in einem meiner Seminare zum Thema „Gelingende Kommunika­tion“ mit. Er berichtete, dass er in Bezug auf einen Klavierschüler, dessen Fortschritte in vier Jahren Unterricht kaum wahrnehmbar waren, erst durch Zufall erfahren habe, dass dieser zu Hause kein Klavier zum Üben hatte. Dieses Beispiel zeigt, dass oft schon zu Beginn einer Lehrer-Schüler-Beziehung das Ziel und der Auftrag nicht ausreichend beleuchtet und geklärt worden sind. Im obigen Fall wäre es gut gewesen zu wissen, wozu (Ziel) die Eltern den Schüler zum Klavierunterricht angemeldet haben. Weiterhin ist wahrscheinlich nicht deutlich genug dargestellt worden, mit welchen Mitteln (Auftrag) das Ziel erreicht werden kann.
Als kritischer Leser und kritische Leserin werden Sie sich jetzt vielleicht fragen: „Aber mein Auftrag sowie die Zielrichtung für meinen Unterricht ergibt sich doch aus meinem Arbeitsvertrag?!“ Das stimmt. Der Arbeitsvertrag klärt formal den Auftrag, den Ihnen Ihr Arbeitgeber gibt. Weiterhin klärt er, welches allgemein gehaltene Ziel mit dem Unterricht erreicht werden soll. Meistens ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag jedoch nicht, wie Sie mit den persönlichen und oft sehr individuellen Erwartungen, Wünschen und Hoffnungen der SchülerInnen und Schüler-Eltern umgehen sollten.
Für einen erfolgreichen Unterricht ist es wichtig, zu Beginn eines Lernprozesses mit den SchülerInnen und eventuell mit den Eltern den Anlass (warum jetzt?), das Anliegen (wozu?) und den Auftrag (womit werden die Ziele erreicht?) für den Unterricht zu klären, um anschließend für ein realistisches Ziel eine gemeinsam verhandelte Verabredung zu treffen und gemeinsam festzuhalten. Da persönliche Ziele und Aufträge sich im Verlauf der Jahre ändern können, ist es empfehlenswert, immer wieder ein Update durchzuführen, z. B. zu Beginn eines Schuljahres.

Das wertschätzende Interview

Die Fragetechniken, die ich vorstelle, sind allesamt aus der Systemischen Beratung entnommen. Weiterhin werde ich die verschiedenen Settings und Kontexte mit vielen Beteiligten und oft widersprüchlichen Aufträgen beleuchten.
Im Erstkontakt mit neuen SchülerInnen oder Gruppen scheint es ein natürlicher Reflex zu sein, dass PädagogInnen ausführlich erklären, was ihnen aus ihrer Erfahrung heraus für den Lernprozess wichtig ist. Dies bringt zwei Schwierigkeiten mit sich: Es kann unklar bleiben, was den SchülerInnen (und Eltern) selbst wichtig zu erfahren ist. Und, wie wir alle wissen: „gehört“ heißt nicht unbedingt, dass es „verstanden“ wurde. Spätestens beim Thema Üben zeigt sich oft, dass anfängliche Erklärungen schnell in Vergessenheit geraten. Wie erfragt man also, welche Wünsche und damit verbundenen Aufträge an den Ins­trumentalunterricht gestellt werden? Und wie kann man im gleichen Gespräch klären, ob Ziel und Auftrag überhaupt realistisch sind und von Ihnen als Lehrkraft unterstützt werden können?

„Unterschiedsbildende Fragen“ – mit W-Fragen den Alltag verstehen
Am Beispiel „Üben“ möchte ich Ihnen die Unterschiedsbildenden Fragen (W-Fragen) vorstellen. Sie heißen im Systemischen unterschiedsbildend, weil sie Unterschiede u. a. im Handeln, Denken und Wahrnehmen verdeutlichen. Die folgenden Beispielfragen zeigen auf, dass diese Fragen den Alltag der Kinder und ihre Möglichkeiten zu verstehen helfen. Indirekt helfen diese Fragen auch, dass die Familie versteht, was alles zum Üben dazu gehört, und dass individuelle Lösungen gefunden werden können.
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Zu ­einem ersten Informationsgespräch für den Geigenunterricht erscheint das Kind mit seiner Mutter. Nach ersten Informationen zum Instrument kann folgende Anmoderation helfen, um die Fragen zur Übe-Situation zu Hause zu stellen: „Ich möchte Ihnen und dir ein paar besondere oder vielleicht sogar merkwürdige Fragen stellen. Sie sollen uns helfen, dass ihr für dich die beste Übe-Situation zu Hause findet.“ Nun könnten Sie folgende Beispielfragen probieren (die Fragen an das Kind sollten altersgemäß sein):
– Was meinst du: Wann wäre für dich eine gute Zeit zum Üben? Was ist Ihre Erfahrung als Mutter, wäre das eine gute Zeit?
– Was meint ihr, wo bei euch zu Hause ein guter Ort zum Üben wäre? Welcher Platz wäre nicht gut?
– Wie ist es für Sie als Mutter, dass Ihr Kind nun regelmäßig üben sollte?
– Was denken Sie: Wie kann es gelingen, dass Ihr Kind regelmäßig übt? Was denkst du: Wer und was könnte dir dabei helfen?
– Was denkt ihr: Was wäre für euch anders, wenn du es wirklich schaffst, regelmäßig zu üben?
– Oder habt ihr schon eine Idee, wozu es nützlich wäre, es regelmäßig zu tun?
Verstehen Sie diese Fragen als wertschätzendes Interview, das Sie mit den ExpertInnen (Schülerfamilie) für deren häusliche Übesituation führen. Es geht nicht um Aushorchen, sondern um Verstehen. Für die Unterschiedsbildenden Fragen braucht man etwas Feingefühl und vor allem Wohlwollen. Dabei gibt es keine falschen Fragen. Es kann passieren, dass eine Frage keine Resonanz erzeugt. Dann probiert man die nächste Frage.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2024.