Rüdiger, Wolfgang

What we play is life

Zur Bedeutung von Alltagserfahrungen im Instrumentalunterricht

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2014 , Seite 14

Instrumentalunterricht ist gut, wenn er den Menschen ergreift und das Leben aufspürt im Spiel. Anders ausgedrückt: Instrumentalunterricht ist gut, wenn der Schüler die Musik ganz ergreift und das Spiel auf Phänomene und Vollz­ü­ge seines Lebens zurückführt, denen es entspringt. Denn Musizie­ren mit Stimme und Instrumenten ist gesteigertes Leben in all seinen Schichten. Und die grundlegende Frage der Instrumentalpädagogik lautet: Was bedeutet die Musik für unser Leben?

Die sechzehnjährige Anna kommt nach den Ferien in den Flötenunterricht und berichtet während des Auspackens begeistert von ihren Surferlebnissen am Atlantik. Bei den ersten Tönen auf der Flöte aber scheint alles vergessen: Wie ein Schluck Wasser steht die Schülerin im Hohlkreuz da und haucht ihre Töne saft- und kraftlos in das Instrument, derweil die Lehrerin freundlich rückmeldet: „Mehr Luft, bitte…“
Welche Chancen werden hier vertan! Man kann es den Lebensbezug des Flötespielens nennen, der aus dem Auge verloren wird, obwohl er doch so offensichtlich ist. Und mit ihm geht das schöne, lebendige, bewegte, energiegeladene Musizieren den Bach herunter. Was wäre möglich gewesen? Hier eine Alternative, die zu ganz anderen Erlebnissen und Ergebnissen führt: „Hey, du warst doch surfen, Anna, wie geht das noch mal? Welche Bewegungen machst du da? Zeig mal, wie du surfst… Wann geht das am besten? Bei Wind und Wellen! – Komm, blas mal kräftig, ich surfe dazu; und nun umgekehrt, ich blase und du machst Surfbewegungen. Und jetzt an die Flöte: Surf und blase, mach dir Wind, sei Wind und Welle, Meer und Strand zugleich…“ – Und so weiter, von größeren Bewegungen zu kleineren, von gehaltener Bewegung zur bewegten Haltung mit atmenden Lenden an der Flöte. Und wenn dann in der nächsten Stunde Schülerin und Lehrerin die Köpfe über ein Handbuch zur Wave Culture zusammenstecken und die atemberaubende Geschmeidigkeit der Bewegungen des Wellenreitens bewundern, dann ist die Verbindung von Flötenunterricht und Lebenslust perfekt.1
Worin liegt der Unterschied? Im ersten Fall wurden Instrumentalspiel und Alltagserfahrung, hier die eines Feriensports, voneinander getrennt, als hätten sie nichts miteinander gemein. Das Alternativbeispiel hingegen verknüpft Musizierbewegungen mit Alltagsbewegungen und überträgt die sportive Bewegtheit aufs Flötespielen – ein Plädoyer für die Lebendigkeit eines Unterrichtens, das inst­rumentales Musizieren stets auf das aktuelle Leben bezieht, das Schülerin und Lehrerin teilen: auf Alltag, Spiel und Sport, Kino, Kunst und Literatur und vieles mehr. Und auf was für großartige Ideen können Schülerin und Lehrerin kommen in einem fantasievollen Unterricht, der Musik und Instrumentalspiel auf alles Mögliche bezieht und Lehren in Leben verwandelt!2

1 z. B. Stefan Strauss/Ralf Götze: Wave Culture. Faszination Surfen. Das Handbuch der Wellenreiter, 4., überarbeitete Auflage, Rellingen 2012.
2 vgl. Pepi Hofer: Das Pferd in der Cellostunde. Praktische Beispiele für kindgemäßen Instrumentalunterricht unter Anwendung der Impact-Pädagogik (= üben & musizieren – texte zur instrumentalpädagogik), Mainz 2011.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2014.