Nykrin, Rudolf

„Wir wollen Kinder erziehen zu Menschen, mit denen wir gerne zusammen sind“

Ein internationales Symposion feierte 50 Jahre Orff-Institut in Salzburg

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 5/2011 , Seite 38

1961 hatte der österreichische Staat dem renommierten Komponisten Carl Orff Gelegenheit gegeben, ein Institut aufzubauen, das sein Orff-Schulwerk in Theorie und Praxis angemessen darstellen und weiterentwickeln konnte. Bereits von 1950 bis 1954 waren orientierende Grundmaterialien unter dem Namen Orff-Schulwerk – Musik für Kinder erschienen. Sie erfuhren viel Resonanz, da sie eine musikalische Werkstatt für Musik und Bewegung bereitstellten, wie man sie bisher nicht kannte. Das Interesse reichte schon damals weit über den deutschsprachigen Raum hinaus und führte ab 1953 zu Kursen mit erheblicher Auslandsbeteiligung.
Das Carl-Orff-Institut für Elementare Musik- und Tanzpädagogik ist Teil der Universität Mozarteum Salzburg. Zum 50. Geburtstag des Instituts fand in Salzburg vom 7. bis 10. Juli ein Symposion statt, das ReferentInnen und Gäste aus 54 Ländern aller Kontinente versammelte. Eine ungeheuer fleißig vorbereitete Tagung stellte in den Räumen des Zentralgebäudes des Mozarteums und im ­Institutsgebäude im grünen Süden Salzburgs mit Vorträgen und Workshops die Lebendigkeit der vielen mit Musik- und Tanzpädagogik verbundenen Arbeitsfelder in den Mittelpunkt. Die komplexe Geschichte des Instituts dokumentierte eine thematisch klar strukturierte Ausstellung, die auch umfängliche Film- und Videodokumente aus der Institutsgeschichte einbezog.
Kaleidoskop der Sinne hieß ein Film zur 50-jährigen Institutsgeschichte, der mit historischen und aktuellen Zitaten vor allem den Wandel der vom Orff-Schulwerk ausgehenden pädagogisch-künstlerischen Arbeit verdeutlichte. Die klar gesteuerte Arbeit der Anfangszeit machte schnell einer prozesshaften Arbeitshaltung mit größtem Raum für die beteiligten Individuen Platz. Dies erläuterte ausführlich auch Manuela Widmer, die die Gesamtleitung des Symposions innehatte.
Vorangegangen war dem Symposion eine mehrtägige Arbeitsphase des Orff-Schulwerk-Forums, das die in 33 Ländern bestehenden Orff-Schulwerk-Gesellschaften miteinander verbindet. Auch die Beiträge auf dem Symposion spiegelten neben der Arbeit des Instituts jene von internationalen ReferentInnen. Symbolisch für eine Musik- und Tanzerziehung in authentischer Konzeption konnte dabei ein mitreißendes Konzert des San Francisco School Orff-Ensemble einstehen: Kinder und Jugendliche dieser Schule präsentierten Folklore verschiedener Kulturen ebenso wie Jazztitel oder für das virtuose Gruppenmusizieren adaptierte Werke der Konzertmusik. Verbunden mit Bewegung, Bodypercussion oder szenischen Bestandteilen wechselte jedes Mitglied mehrmals die Rolle. Das brachte nicht nur Effekt und Abwechslung für das Publikum, sondern entsprach dem Grundgedanken einer beziehungsreichen Erschließung verschiedener ästhetischer Fähigkeiten im erzieherischen Zusammenhang. In einer kurzen Erläuterung brachte Lehrer Doug Goodkin die ebenso einfache wie ambitionierte Zielsetzung zum Ausdruck: „Wir wollen Kinder musikalisch so anleiten, dass sie vollwertige Musizierpartner für uns werden, und sie erziehen zu Menschen, mit denen wir gerne zusammen sind.“
Musik, Sprache und Bewegung von der Frühpädagogik bis zur Seniorenarbeit, Integrative Pädagogik und Migrationsarbeit, aber z. B. auch die Formung von Konzepten für Instrumentalpädagogik, Konzert- oder Kunstpäda­gogik und noch mehr gehört heute zum Arbeitsfeld von Musik- und TanzpädagogInnen bzw. AbsolventInnen des Orff-Instituts. Fast 2000 Studierende aus über 50 Ländern haben bisher ein Studium abgeschlossen, etwa 400 den englischsprachigen Lehrgang Advanced Studies in Music and Dance Educa­tion. Über 12000 Menschen haben einen der bekannten Sommerkurse des Instituts besucht. Die Bachelor- und Masterstudiengänge bieten umfangreiche Wahlmöglichkeiten und damit eine persönliche Schwerpunktbildung.
Leider steht dem Arbeitsfeld der Musik- und Tanzpädagogik kein gleichnamiges Berufsfeld gegenüber: AbsolventInnen des Instituts müssen ihre Kompetenz für anders und speziell bezeichnete Arbeitsfelder oft erst erklären und sich entsprechende Positionen suchen. Sie stehen dabei in einer falschen Konkurrenz mit anderen, die sich als einschlägig qualifiziert bezeichnen mögen. Doch die kenntnisreiche, dazu pädagogisch hochqualifizierte und verschiedene Sinneskanäle bewusst verbindende Arbeitsweise, die einem Studium am Orff-Institut entspringt, ist vielen Aufgaben im Bereich ästhetischer Erziehung und Praxis besonders angemessen. Das schätzen besonders jene Studierende unmittelbar, die nach einer Zusatzausbildung am Orff-Institut in ein für sie bereits bestehendes Berufsfeld zurückkehren können.
Die Arbeit des Instituts präsentiert sich heute im Schnittfeld von Pädagogik, Kunst und Wissenschaft. Sie kann, zunehmend bedrängt auch von Sparauflagen, nicht allen Erwartungen gleichermaßen genügen. In der Pädagogik besteht wohl die stärkste und bleibende Leistung des Instituts; die künstlerische Arbeit ist dabei als Teil der Persönlichkeitsentwicklung der Studierenden wichtig. Von der Frühpädagogik bis zur Seniorenarbeit zeichnet die Pädagogik des Instituts das Einlassen auf die eigentümlichen Motivationen und Verhaltensweisen jedes Menschen aus, wobei nicht Defizite, sondern positive Kräfte und Fähigkeiten im Mittelpunkt gesehen werden. Der Schatz von gesicherten Inhalten und Methoden für erzieherische Arbeit, der sich am Institut mit den Jahren he­rausbildete, wird stets erneuert und als päda­gogische Kompetenz den Studierenden mitgegeben.
Aber auch künstlerische Visitenkarten wurden auf dem Symposion abgegeben, von Studierenden des Instituts ebenso wie von kleineren und größeren Gastensembles. In Erinnerung bleiben mir besonders die gekonnte Burlesque, mit der die diesjährigen AbsolventInnen vier Jahre Selbstfindung musikalisch und tänzerisch beleuchteten, oder das streng komponierte Stück Schatten nach klassischen Texten und mit griechischer ­Musik, dargeboten von AbsolventInnen und Lehrkräften einer Orff-Ausbildungsstätte in Athen.
Ein reines Vergnügen bot die Inszenierung von Carl Orffs Astutuli, realisiert überwiegend von Mitgliedern des Orff-Instituts. Orff erzählt in seiner musikalisch aufgeladenen, energiereichen Sprache in bayerischer Mund­art, wie ein Gaukler mit leeren Versprechungen die gutgläubigen Bewohner eines Dorfes bis aufs Hemd auszieht und ausraubt. Es folgt eine „Publikumsbeschimpfung“, die an Drastik kaum überboten werden kann, bevor ein neuer Heilsbringer, der „Goldmacher“, die Dörfler erneut in Bann zieht.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 5/2011.