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Bollack, Laura

Wo Musik ­hingehört

Plädoyer für einen hörbasierten Umgang mit Popsongs im Instrumental- und ­Vokalunterricht

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2018 , Seite 18

Popsongs1 sind aus dem Instrumen­tal- und Vokalunterricht nicht mehr wegzudenken. Im folgenden Artikel geht Laura Bollack zum einen auf Potenziale bei der Beschäftigung mit Popsongs im Unterricht ein und zeigt mögliche Lernfelder auf. Zum anderen gibt sie Ideen zum Umgang mit Popmusik im Instrumental- und Vokalunterricht und beschreibt eine vom Hören ausgehende Heran­gehensweise.

Eines der größten Potenziale von Popsongs im Instrumentalunterricht liegt meiner Meinung nach in der Erfahrung des gemeinsamen Musizierens mit anderen MusikerInnen in der Gruppe. Der Bandkontext ist für das Musizieren im Pop von großer Bedeutung und stellt eine der grundlegenden popmusikalischen Musizierformen dar. Dabei können die Lernenden einerseits Erfahrungen beim Musizieren mit anderen sammeln.2 Zum Gelingen des gemeinsamen Bandspiels sind unter anderem der Wille zum aktiven Mithören und gegenseitigen Zuhören gefragt. Andererseits birgt das Musizieren in der Band das Potenzial, gemeinsam mit den Bandmitgliedern in den kreativen Schaffensprozess im pop-typischen Verfahren des Coverns einzutauchen.
Auch bietet die Auseinandersetzung mit Popsongs die Möglichkeit, dass SchülerInnen Verantwortung für das im Unterricht behandelte Repertoire übernehmen, indem sie etwa ihren aktuellen Lieblingssong in den Unterricht mitbringen und somit für die Auswahl selbst verantwortlich sind. Nicht zuletzt sollte der Instrumentalunterricht eine Plattform dafür bieten, dass Lernende sich mit verschiedenen Formen und Ausprägungen von Musik intensiv beschäftigen können. ­Eine Auseinandersetzung mit Popsongs als eine von vielen verschiedenen musikalischen Formen ermöglicht, die Vielseitigkeit von Musik kennenzulernen und ein individuelles Repertoire an Musikstücken aufzubauen.
Eine der größten Hürden im Umgang mit Popsongs stellt die Anpassung eines Songs auf ein einzelnes Instrument dar. Beschränkt sich der Umgang mit Popmusik auf die Ana­lyse des zugrunde liegenden Harmonieschemas, so bleiben einige Lernfelder verborgen. Sicherlich kann die Aussage: „Das sind ja nur vier Akkorde!“ in Bezug auf die harmonische Struktur mancher Popsongs mit einem „Ja“ beantwortet werden.3 Bleibt die Auseinandersetzung jedoch bei der Analyse der vermeintlich überschaubaren Harmonik stehen, so bleiben vielfältige Zugänge verschlossen, da sich das starke Moment von Popmusik oftmals auf einer anderen Ebene als der harmonischen befindet. Eine Reduktion auf die harmonische Ebene kann der Vielzahl an Ausprägungen der unter dem Begriff Popmusik subsummierten Stücke nicht gerecht werden. Fraglich ist zudem, in welchem Verhältnis Hören und Sehen beim Erarbeiten von Popsongs im Unterricht zueinander stehen.

Das Prinzip der zirkularen Zeit

Ein Prinzip, das sich in vielen Popsongs wiederfinden lässt, ist das Prinzip der Wiederkehr bestimmter Patterns, die von einem oder mehreren Instrumenten gespielt werden (zyklisches Prinzip). Bei einem Pattern handelt es sich um ein (kurzes) Melodie- oder Rhythmusfragment, das oftmals über die Dauer eines bestimmten Formteils identisch oder leicht variiert wiederholt und im Loop gespielt wird. Die Instrumente einer Band können dabei verschiedene sich wiederholende Patterns übernehmen. Geht ein Formteil des Songs in einen anderen über, so wird das bisherige Pattern meist von einem anderen abgelöst. Ein bekanntes Beispiel für dieses zyklische Prinzip findet sich beim Song Billie Jean von Michael Jackson: Im Notenbeispiel sind die von Streichern und Bass gleichzeitig gespielten Patterns abgebildet. Diese werden identisch wiederholt bzw. erklingen als Variation auf einer anderen Tonleiterstufe im Verlauf des Songs.

Patterns aus “Billie Jean” von Michael Jackson

Der Versuch, zyklische Musik in die Form eines linear in der Zeit zu lesenden Notentextes zu bringen, hat ein hochkomplexes Notenbild zur Folge, das sich für den Einsatz im Instrumentalunterricht nicht eignet. Beim Musizieren von Popsongs gibt es zudem in Bezug auf die formale Gestaltung große Freiheitsgrade. Wiederholungen des Refrains oder der Übergang in die Bridge können beim Spielen spontan durch Handzeichen angezeigt werden. Das Konzept einer in einer gewissen Zeitspanne festgelegten Form, das sich hinter einer linearen Notation verbirgt, ist für viele Popsongs nicht zielführend. Dennoch sind detailliert und linear notierte Notentexte von Popsongs vielfach verfügbar. Möchte man einen Popsong im Instrumentalunterricht spielen, so sollte auf eine Nota­tion, bei der das Stück im zeitlichen Verlauf von Anfang bis Ende als linear zu lesende Spielanweisung festgehalten ist, verzichtet werden. Vorranginge Form der Erarbeitung von Popsongs sollte das Hören und Nachspielen sein.

1 Die Definition des Begriffs „Popsong“ ist herausfordernd. Dies liegt zum einen daran, dass in der Literatur in Bezug auf den Begriff „Popmusik“ keine einheitliche Definition ausfindig gemacht werden kann. Zum anderen lässt die deutsche Übersetzung des englischen Wortes „Song“ als „Lied“ einen gewissen Interpretationsspielraum, beispielsweise als ein Stück aus den Bereichen des Kunst- oder Volkslieds. Im Folgenden werde ich den Begriff „Popmusik“ in Anlehnung an den Artikel „Pop ist Kunst“ von Andreas Doerne benutzen. Er beschreibt verschiedene grundlegende popmusika­lische Prinzipien und Merkmale von Popmusik; vgl. ­Andreas Doerne: „Pop ist Kunst. Eine Spurensuche“, in: üben & musizieren, 1/2014, S. 6-10.
2 vgl. hierzu die Studie zum Lernen im Pop von Ilka ­Siedenburg: „Die Band als Team. Eine Studie zum Lernen im Pop und Folgerungen für die Instrumentalpäda­gogik“, in: üben & musizieren, 1/2014, S. 11-15.
3 Andreas Doerne nennt das Prinzip der Einfachheit als eines der im Pop vorherrschenden Prinzipien und formuliert dies in der Aufforderung: „Keep it simple!“; vgl. hierzu Doerne, S. 10.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2018.