Neefe, Christian Gottlob

XII Klaviersonaten

Denkmäler Rheinischer Musik, Band 10/11, hg. von der Arbeitsgemeinschaft für Rheinische Musikgeschichte, mit 2 CDs

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Dohr, Köln 2006
erschienen in: üben & musizieren 2/2007 , Seite 64

Dieser Band mit frühen Klaviersonaten des späteren Lehrers von Beethoven in Bonn kann in jeder Hinsicht vorbildlich genannt werden. Gedruckt auf wunderschönem Papier ist bereits das Äußere ein Genuss für Augen und Hand. Aber auch inhaltlich überzeugt die Ausgabe, die auf eine inzwischen nicht mehr erhältliche Veröffentlichung aus den Jahren 1961 und 1964 zurückgeht. Ergänzt wird das Notenmaterial durch die Autobiografie Neefes (mitsamt dem „Resultat der Beobachtung meiner selbst“ und einem Anhang von der Witwe des Komponisten), einem Vorwort von Inge Forst zu Person und Werk Neefes, einem ausführlichen kritischen Bericht und einem Personen- und Literaturverzeichnis.
Die Stücke selbst können als Zwischenstufe zwischen den Klavierwerken Carl Philipp Emanuels Bachs, dem Widmungsträger dieser Sonaten, und den frühen Werken Beethovens sicher ein gewisses historisches Interesse beanspruchen. Darüber hinaus lohnt es sich aber auch für PädagogInnen, hier auf die Suche nach Alternativen zu den häufig gespielten Sonatinen und frühen Haydn-Sonaten zu gehen. Damit sind schon einige Merkmale dieser Sonaten angesprochen: meist dreisätzig sind sie von mäßiger Schwierigkeit, dabei aber durchaus vielfältig in den Charakteren. Vor allem die „empfindsamen“ und feingliedrigen langsameren Sätze sind oft harmonisch interessant. Häufig gibt es Lagenwechsel der Themen und Motive, wodurch der Klang quasi instrumentiert wirkt und die Musik ihren sprechenden Ausdruck bekommt. Hervorstechend ist die erste Sonate mit ihrem im doppelten Kontrapunkt gehaltenen, chromatisch durchsetzten Thema im ersten Satz, auf das auch der letzte Satz wieder anspielt.
Dem Band liegen zwei CDs bei, auf denen der Pianist Oliver Drechsel alle zwölf Sonaten von Neefe (komponiert 1772 während dessen Studienzeit bei Hiller in Leipzig) den drei Kurfürsten-Sonaten des zwölfjährigen Beethoven aus dem Jahr 1782 gegenüberstellt. Gespielt werden sie teils auf dem Clavichord, teils auf einem modernen Steinway, wobei zwei Sonaten Neefes und die erste Kurfürsten-Sonate jeweils auf beiden Instrumenten erklingen. Diese doppelte Vergleichsmöglichkeit ist sehr reizvoll und verdeutlicht u. a. das kompositorische Niveau und die ungleich höheren virtuosen Anforderungen dieser frühen Werke Beethovens, die über den großen Sonaten oft vergessen werden.
Leider bleibt der Pianist zwar nicht in technischer, wohl aber in interpretatorischer Hinsicht den Sonaten einiges schuldig: Artikulation und Phrasierung sind nicht vielfältig und geschmeidig genug, um die feineren melodisch-harmonischen Beziehungen zwischen den Tönen deutlich herauszuarbeiten, den Tanzsätzen fehlt manchmal eine klare rhythmisch-metrische Grundlage, hin und wieder gibt es rhythmische Ungenauigkeiten (verkürzte Pausen, schlaffe Punktierungen), Wiederholungen klingen fast ausnahmslos identisch und an einigen Stellen passieren sogar Textfehler (z. B. in der VII. Sonate, 1. Satz, T. 9, T. 40). Das ist bedauerlich, schmälert aber natürlich nicht den Wert der Notenausgabe. Allerdings wird das Potenzial des zusätzlichen Mediums dadurch nicht in vollem Umfang ausgenutzt.
Linde Großmann