Herbst, Sebastian

Zur Wiederentdeckung der Begeisterung

Der Kommentar

Rubrik: Kommentar
erschienen in: üben & musizieren 5/2025 , Seite 39

Wie motiviere ich meine SchülerInnen? Um diese Frage zu beantworten, ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, warum wir selbst musizieren, vor vielen Jahren damit begonnen haben, was uns bei der Stange gehalten und immer wieder begeistert hat und auch, warum wir uns in dem ein oder anderen Moment für das Weitermachen entschieden haben. Man müsste meinen, dass aus uns, die wir Musik und Musizieren so lieben, gleich eine Fülle an Antworten heraussprudelt. In Aus- und Weiterbildung stelle ich im Gegenteil fest, dass wir Zeit brauchen, diesen Gründen – über „weil es Spaß macht“ hinaus – nachzuspüren.
Interessant wie nützlich ist zudem das Nachdenken über Üben, z. B.: Was verstehe ich unter Üben? Was bedeutet mir Üben? Wann und warum übe ich? Studierende finden schnell Antworten, denn Üben ist ihnen bestens bekannt. Sie deuten jedoch oft auf ein einseitiges Bild vom Üben als ausschließlich zielorientierte, auf Leistungssteigerung im musikalisch-spieltechnischen Sinne ausgerichtete Tätigkeit, die ein hohes Maß an Konzentration und Anstrengung erfordert nach der Prämisse: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ Ein ausgeprägtes Leistungsverständnis klingt immer an, Begeisterung hingegen selten.
Dies spiegelt sich auch in Ideen von Studierenden des ersten Studienjahres zur Gestaltung einer motivierenden, ersten Unterrichtsstunde wider. Erste Stunden sind meines Erachtens eine der anspruchsvolls­ten Aufgaben. Sie sind in vielerlei Hinsicht besonders und gemessen daran können wir sie viel zu selten üben. Es geht u. a. darum, mit noch unbekannten Menschen und wenigen instrumentalen Ausdrucksmöglichkeiten Begeisterung im Musizieren und Üben erlebbar zu machen. Ein Beispiel eines ersten Planungsversuchs von Studierenden:
„Die Schülerin betritt den Unterrichtsraum. Ich begrüße sie und stelle eine angenehme Atmosphäre her (z. B. ,Wie war dein Tag?‘). Dann frage ich sie, warum sie sich zum Unterricht angemeldet hat. Wir packen das Instrument aus und ich zeige ihr, wie man es aufbaut. Ich zeige ihr dann die einzelnen Bestandteile des Instruments und benenne sie: z. B. Saiten, Steg, Schallloch, Wirbel, Griffbrett, Schnecke und eine Stange, die man raus- und reinfahren kann – das macht den Kindern immer Spaß. Dann zeige ich, wie man das Instrument und den Bogen richtig hält und sich im Sitzen richtig positioniert. Das ist eine wichtige Voraussetzung.“ Sie merken: Die Stunde scheint weit vorangeschritten, Klang und echte Begeisterung haben den Raum aber noch nicht erfüllt.
Das Beispiel wirft Fragen auf, über die es sich nachzudenken lohnt. Inwiefern verlieren wir auf dem Weg vom musikbegeisterten Kind zum Musikberuf mitunter das Bewusstsein dafür, was uns Musik und Musizieren bedeutet? Inwiefern lernen wir zwar zu üben, verpassen oder verlernen aber, wie vielfältig und schön Üben sein kann? Und inwiefern erwerben wir die Überzeugung, dass Musizieren – zumindest im Unterricht – nur geknüpft an spieltechnisch korrekte Ausführungen zulässig ist? Daraus ergeben sich wiederum Fragen für unsere Unterrichtstätigkeit: Wie gelingt es, SchülerInnen künstlerisch erstklassig und eventuell berufsvorbereitend auszubilden, künftig aber zugleich explizit dazu beizutragen, dass sie ihre Begeisterung nicht aus den Augen verlieren oder verlernen?
Wir sollten uns daher Zeit nehmen, zunächst selbst und dann gemeinsam mit den SchülerInnen unserer Begeisterung für die Musik, das Musizieren und jedem einzelnen Klang nachzuspüren. Wir sollten im eigenen Tun wiederentdecken, dass üben musizieren ist. Wir sollten vielfältig erfahren, wie künstlerisches Musizieren mit dem und im ersten Klang entstehen kann. Und wir sollten uns bewusst machen, dass es ab der ersten Stunde um die Musik, das Musizieren und den Klang als zentrales Motiv des Musizierens geht, und entspannt akzeptieren, dass SchülerInnen Zeit haben, die richtige Bogenhaltung zugunsten des Klangs auch noch ab der zweiten Unterrichtsstunde über Jahre hinweg zu perfektionieren.
Die (Wieder)Entdeckung der Begeisterung könnte ein entscheidender Schlüssel in der musikpädagogischen Nachwuchsarbeit und zugleich ein Beitrag zur Resilienz im Lehrberuf sein. Seien Sie also eingeladen, über diese und weitere Fragen allein, mit KollegInnen und mit SchülerInnen nachzudenken: Warum musiziere ich? Was hat mich immer wieder am Musizieren begeistert? Warum habe ich mit dem Musizieren angefangen? Was bedeutet mir Musizieren? Was bedeutet mir Musik? Warum habe ich weitergemacht, wenn es mal nicht so gut lief? Was ist üben? Wann und warum übe ich? Was bedeutet mir üben? Was macht wirklich eine gute (erste) Unterrichtsstunde aus?

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 5/2025.

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