Nastoll, Corina
Zwischen Fremd- und Selbstbestimmung
Hausaufgaben aus didaktischer Perspektive
Instrumental- und Vokallehrkräfte können sich große Mühe geben bei der Stückauswahl, sich ausgeklügelte Lernaufgaben ausdenken, individualisierte Übe-Pläne kreieren etc. – aber womöglich empfinden Lernende die Hausaufgaben trotz dieser Bemühungen als (lästige) Pflicht, die mal mehr, mal weniger zuverlässig erledigt wird. Statt über weitere lustweckende „Verpackungen“ von Hausaufgaben nachzudenken, geht Corina Nastoll der Frage nach, wie Lehrende die Selbstständigkeit ihrer Schülerinnen und Schüler bei der Entwicklung, Erledigung und beim Aufgreifen der Hausaufgaben fördern können.
Aus der Motivationspsychologie ist längst bekannt, dass selbstbestimmtes Handeln in hohem Maße den inneren Antrieb steigert.1 Es lohnt sich also, wenn Lehrkräfte Hausaufgaben nicht im traditionellen Sinne „aufgeben“, sondern stattdessen im Kontext von Hausaufgaben Aushandlungs-, Erfahrens- und Reflexionsprozesse ermöglichen und somit selbstbestimmtes Lernen fördern.2 Indem sie ihre Schülerinnen und Schüler dazu befähigen, Richtung und Tempo ihres Lernwegs selbst zu steuern, erhöht sich der Lernerfolg.3 Bedenkt man, dass Instrumental- und Vokalschülerinnen und -schüler aufgrund der geringen wöchentlichen Kontaktzeit zu ihrer Lehrkraft ohnehin viel auf sich gestellt sind, ist es umso dringlicher, dass sie so früh wie möglich folgende Kompetenzen für ein selbstbestimmtes Lernen entwickeln:
1. Übe-Strategien kennen und selbstständig anwenden,
2. Ist-Stand bestimmen, Ziele formulieren und Übe-Schritte ableiten,
3. sich selbst beobachten und reflektieren.
Um die individuellen Ressourcen von Lernenden zu aktivieren, ist eine vertrauensvolle Atmosphäre unerlässlich. Deshalb spielt neben der fachlichen Beratungsfähigkeit von Lehrenden auch deren Beziehungsfähigkeit eine wichtige Rolle. Als „Lernermöglicherin“ bzw. „Lernermöglicher“ haben sie im Rahmen des Kompetenzerwerbs ihrer Schülerinnen und Schüler folgende Aufgaben:
1. Vermittlung von Übe-Strategien, Hilfestellung bei der Auswahl und Anwendung im Rahmen des exemplarischen Übens im Unterricht,
2. Interesse zeigen, zuhören und einfühlen, Denkanstöße geben, potenzielle Zielhorizonte aufzeigen, bei der Priorisierung der Übeziele und Strukturierung der Übeschritte helfen,
3. Aufmerksamkeit lenken, Reflexionsfragen stellen.
Während Übe-Strategien in der Regel eng verknüpft mit dem musikalischen Material kennengelernt, erprobt und angewendet werden, ist es nötig, zum Planen, Beobachten und Reflektieren das eigene Handeln aus der Vogelperspektive betrachten zu können. Man spricht hier von metakognitiven Lernstrategien.4 Im Kontext motivational-affektiver Lernstrategien wiederum geht es darum herauszufinden, welchen Bedeutungsgehalt Lernende ihrem Tun zuschreiben (Identifikation), inwiefern sie sich die Bewältigung der Aufgabe zutrauen (Attribution) und wieweit sie in der Lage sind, ihr Handeln selbst zu analysieren und konstruktive Rückmeldungen anzunehmen (Feedback).5 Schauen wir uns vor diesem Hintergrund den Umgang mit Hausaufgaben in drei Phasen an.6
Phase 1: Hausaufgaben im Unterricht entwickeln
Vier Aspekte werden beleuchtet: das Rollenverhältnis von Lehrenden und Lernenden, die inhaltliche Ausgestaltung der Aufgaben, die Förderung einer positiven Erwartungshaltung der Lernenden sowie Gründe für die Verschriftlichung von Hausaufgaben.
Wenn die Lehrkraft Hausaufgaben vorschlägt, sollte die Auswahl aus Sicht der Lernenden planvoll geschehen und dazu einladen, etwas Neues zu entdecken.7 Effektiver ist es allerdings, wenn Hausaufgaben im Unterricht mit hoher aktiver Beteiligung der Lernenden entwickelt und vorbereitet werden. Dieses Vorgehen benötigt in der Regel mehr Zeit, ist jedoch angesichts der Verbindung mit motivational-affektiven Lernstrategien umso wirkungsvoller. Statt die Hausaufgaben erst am Ende der Unterrichtsstunde gebündelt zu erfassen, empfiehlt es sich, diese im Verlauf der Unterrichtsstunde zu erarbeiten. So haben Lernende die Möglichkeit, eigene Ideen zu entwickeln, Lernwege auszuprobieren und Rückfragen zu stellen. Grundsätzlich loten Lehrende und Lernende die Entscheidungsspielräume im Unterricht gleichberechtigt aus, während sie versuchen, Ziele so klar wie möglich und Aufgaben so präzise wie möglich zu formulieren. Die subjektive Bedeutsamkeit für die Lernenden und einen für sie möglichst hohen Lebensweltbezug (z. B. durch das Ausleben der eigenen musikalischen Identität8 oder die Einbettung in gemeinschaftliche Musizieranlässe9) sollte dabei nie außer Acht gelassen werden.
1 Verwiesen sei an dieser Stelle auf die Selbstbestimmungstheorie der Psychologen Edward L. Deci und Richard M. Ryan sowie auf die Forschung von Albert Bandura zu Selbstwirksamkeit.
2 Synonym werden in der Fachliteratur auch die Begriffe selbstgesteuertes bzw. selbstreguliertes Lernen verwendet. Einen guten Überblick über diesen Lernansatz bietet: Konrad, Klaus: Selbstgesteuertes Lernen neu denken. Mit neuen Konzepten von der Lehrersteuerung zum Schülerhandeln, Weinheim 2024.
3 vgl. Hattie, John/Fisher, Douglas/Frey, Nancy/Almarode, John: Illustrierter Leitfaden. Lehren und Lernen sichtbar machen. Schule und Unterricht lernwirksam gestalten. Einführung, Baltmannsweiler 2025, S. 44 f.
4 vgl. Lesperance, Kaley/Holzmeier, Yvonne/Munk, Simon/Holzberger, Doris: Selbstreguliertes Lernen fördern. Lernstrategien im Unterricht erfolgreich vermitteln, Münster 2023, S. 10 f.
5 ebd., S. 12.
6 vgl. Busch, Barbara/Metzger, Barbara: „Unterrichtsdramaturgie“, in: Busch, Barbara (Hg.): Grundwissen Instrumentalpädagogik. Ein Wegweiser für Studium und Beruf, Wiesbaden 22021, S. 300-308, hier: S. 303-308.
7 vgl. Fuhrmann, Laura: „Vergeben und Vergessen?! Die Hausaufgabenvergabe im Unterricht“, in: Bräu, Karin/ Fuhrmann, Laura/Rother, Pia (Hg.): Die verborgenen Seiten von Hausaufgaben, Weinheim 2023, S. 78-91, hier: S. 79.
8 z. B. durch die Erarbeitung von Lieblingsstücken im Unterricht (vgl. Doerne, Andreas: Umfassend musizieren. Grundlagen einer Integralen Instrumentalpädagogik, Wiesbaden 2010, S. 169-181.
9 Beispiele für gemeinschaftliche Übe- und Musizieranlässe in: Nastoll, Corina: Üben geht klar! Effizient und mit Freude üben, Mainz 2023, S. 42-44.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2025.


