Smilde, Rineke

Wie ein Chamäleon!

Musikerinnen und Musiker müssen sich heute flexibel den unterschiedlichsten Herausforderungen stellen

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2017 , Seite 06

Die Arbeit von BerufsmusikerInnen hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren erheblich verändert. Musike­rinnen und Musiker müssen jetzt in verschiedenen kulturellen Kontexten und in wechselnden Rollen tätig sein. Sie haben keine „Jobs auf Lebenszeit“ mehr, sondern flexible Karrieren. Sie sind zunehmend selbstständig und müssen daher unternehmerisch denken und handeln, das heißt „eine Idee in ein Vorhaben umsetzen, das wertschöpfend ist“, wie es einer meiner Kollegen einmal definiert hat.

Musikerinnen und Musiker sind dazu aufgefordert, mit Ausübenden in anderen Kunst­bereichen und branchenübergreifend in anderen Bereichen der Gesellschaft zusammenzuarbeiten (z. B. im Gesundheitswesen, mit jugendlichen Straftätern, in Projekten mit Senioren etc.). Das ist eine Herausforderung, bietet aber auch hervorragende Chancen, um neuartige Tätigkeiten auf künstlerischem Gebiet zu entwickeln. Zweifellos genügt es heute nicht mehr, Talent und viele künstlerische Fertigkeiten zu besitzen, um angesichts der unterschiedlichen Anforderungen als ­Berufsmusiker erfolgreich zu sein. Musikerinnen und Musiker brauchen übertragbare ­Fähigkeiten oder Lebenskompetenzen wie Selbstmanagement, Entscheidungs- und Geschäftskompetenzen.
Ein Blick in das heutige Berufsbild eines Musikers zeigt, dass das Aufkommen der Port­folio-Karriere, in der ein Musiker verschiedene Formen von beruflichen Tätigkeiten miteinander verbindet, die mit Abstand wichtigste Entwicklung darstellt. Dabei ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass dies nicht bedeutet, dass Musiker nicht in der Lage sind, Arbeit zu finden, sondern dass dies den gesellschaftlichen Wandel widerspiegelt.
Die bekannteste Kombination in einer Port­folio-Karriere ist die des ausübenden und des lehrenden Künstlers. Doch wir begegnen auch mehr und mehr Community-MusikerInnen. In vielen europäischen Ländern verzeichnen wir einen Anstieg von Tätigkeiten von KünstlerInnen in einer breiteren Gemeinschaft. Diese Entwicklung hat ihren Ursprung in Großbritannien und begann vor einigen Jahrzehnten.
Statt von Community-MusikerInnen zu sprechen, möchte ich sie lieber Musikerinnen und Musiker für ein neues Publikum nennen. Diese MusikerInnen beschäftigen sich mit einem anderen Publikum als dem in den Konzertsälen. Dieses neue Publikum findet sich beispielsweise in Krankenhäusern, bei der Sozialfürsorge, in Gefängnissen, Altenheimen und an anderen Orten. Eine gute Möglichkeit, sich auf ein neues Publikum einzulassen, sind kreative Musikworkshops. Kreative Musikworkshops werden durch die Ansicht gestützt, dass der improvisatorische Charakter kollaborativer Ansätze in Workshops dazu führen kann, dass Menschen sich kreativ ausdrücken, wodurch ein Gefühl gemeinsamen Eigentums und ein Gefühl der Verantwortung sowohl gegenüber dem Prozess als auch gegenüber dem Endprodukt des Workshops1 entwickelt wird. Der Austausch von Ideen und Fertigkeiten unter den Teilnehmern (partizipatorisches Lernen) ist ein wesentlicher Bestandteil des Prozesses.

Neue Rollen

Eine Portfolio-Karriere mit sich überschneidenden Tätigkeiten im bunten Berufsalltag macht es für Musikerinnen und Musiker erforderlich, mehrere Rollen gleichzeitig zu übernehmen. Diese Rollen hängen miteinander zusammen, wie z. B. die eines:
– Innovators (Forschers, Erschaffers und Risikoträgers);
– Identifizierers (von fehlenden Fähigkeiten und Mitteln zur Auffrischung);
– Partners/Mitwirkenden (innerhalb von Partnerschaften);
– reflektierenden Ausübenden (der sich mit Forschung und evaluativen Prozessen befasst);
– Partizipierenden (der beispielsweise mit professionellen Kunstausübenden, Studierenden und Lehrpersonen im Dialog steht);
– Verbinders (in Bezug auf Kontexte, in die MusikerInnen eingebunden sind);
– Unternehmers (und Arbeitsplatzschaffenden).
Es liegt auf der Hand: Musikerinnen und Musiker müssen heute eine Art Chamäleon sein. Sie sehen sich Fragen gegenüber wie: „Wie kann ich flexibel agieren und Chancen in neuen und sich schnell ändernden kulturellen Kontexten nutzen?“ Oder der grundsätz­lichen Frage: „Wer bin ich als Musiker und welchen Beitrag kann ich für die Gesellschaft leisten?“

1 Sean Gregory: „The creative music workshop: a contextual study of its origin and practice“, in: George Odam/Nicholas Bannan (Hg.): The Reflective Conservatoire. Studies in Music Education, London 2005.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2017.