Rademacher, Ulrich

95 „Thesen“ …

… wie es gelingen kann, den Traumberuf lebendig zu halten

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2017 , Seite 24

Orientiert an unerreichbaren Vorbildern wie Martin Luther, Josef Beuys’ „Jeder Mensch ist ein Künstler“ und Robert Schumanns „Musikalischen Haus- und Lebensregeln“, sehr persönlich, aus meinem Leben als Musiker: Spieler, Mitspieler, Dirigent, Lehrer, Vermittler, Netzwerker, Vater, Zuhörer. Da alle Bereiche für mich zusammengehören, gibt es keine Gliederung oder Zuordnung zu bestimmten Themen und Aspekten. Alle Gedanken präsentieren sich ungeordnet und wild – wie ein Musikerleben. Mit Ernst und Augenzwinkern serviert von Ulrich Rademacher.

1 Lasse Leere zu
2 Suche Stille
3 Scheiß auf Wirkung
4 Suche das Einfache
5 Führe alles auf den Kern, auf den Ursprung zurück
6 Keine Tricks
7 Betrachte Komplexes mit Abstand
8 Suche nach Beziehungen und Bezügen in der Musik
9 Sei dir stets bewusst, dass Musik immer irgendwoher kommt oder irgendwohin geht. Auf dem Weg zu sein, ist spannender, als auf der Stelle zu treten
10 Spiele nur, was du singen kannst

11 Lerne, dein Lampenfieber zu lieben
12 Spiele für die letzte Reihe
13 Spiele für den, der deine Musik zum ersten Mal hört
14 Genieße den Wechsel von Spannung und Entspannung
15 Suche die Balance zwischen der Liebe zu Details und dem Blick auf das Ganze
16 Du musst nicht deine Macken kultivieren, um interessant und originell zu sein
17 Ein Musiker darf auch gesund sein
18 Ausgeschlafen bringst du mehr Spannung und mehr Entspannung, also mehr Dynamik
19 Apropos Entspannung: Gute Vorbereitung trägt dazu bei, im Zweifel hilft auch üben
20 Üben ist ein großes Privileg

21 Suche dir früh „dein“ Stück, das du musikalisch und technisch vorwärts und rückwärts so gut kennst, dass es dich auch nach musikalischen Durststrecken wieder auf die Spur bringt
22 Werde nicht bequem, suche in jedem Programm eine neue Herausforderung
23 Nähere dich jedem Werk von vielen Seiten: intuitiv-sinnlich, formal, historisch, assoziativ, technisch…
24 Wenn du alles erwogen, probiert, erkannt hast, fühle dich im Konzert von allem frei
25 Atme
26 Erzähle
27 Singe
28 Höre
29 Antworte
30 Sei nicht wichtig, sondern bewegend

31 Musik machen, unterrichten und die Sorge um gute Rahmenbedingungen für Musik gehören zusammen
32 Lebe für die Magie des Augenblicks
33 Glaube an deine Unverwechselbarkeit
34 Glaube immer an die Möglichkeit, dich weiterentwickeln zu können
35 Strenge dich an, um gut zu sein, aber reibe dich nicht auf, um besser zu sein als andere
36 Etwas leidenschaftlich gern zu tun heißt nicht, auf eine faire Bezahlung zu verzichten
37 Denke daran, dass gute Musik gute Rahmenbedingungen braucht und sei dir nicht zu schade, dich dafür einzusetzen. Achte diejenigen, die dafür Verantwortung übernehmen
38 Arbeite dafür, dass alle Menschen Zugang zu guter Musik haben und aktiv daran teilhaben können
39 Wehre dich, wenn beim Thema musikalische Bildung breite Zugangsmöglichkeiten und Qualität gegeneinander ausgespielt werden
40 Verliere das Staunen, das Weinen, die Freudentränen nicht

41 Freue dich an den Kompetenzen der Kollegen
42 Glaube daran, dass du einmalig bist
43 Anders sein zu dürfen, ist fruchtbarer, als besser sein zu müssen
44 Misstraue deinen Konkurrenzgefühlen
45 Musik wird schöner und mehr, wenn man sie teilt
46 Eine gute Idee muss nicht von dir sein
47 Nimm andere mit
48 Stelle dein Licht nicht unter den Scheffel
49 Seine Qualitäten zu zeigen, ist weniger arrogant, als davon auszugehen, dass jeder sie ohnehin sieht
50 Freue dich über Lob

51 Jeder trägt Verantwortung dafür, dass Neues entsteht. Beteilige dich an Uraufführungen, sei es kom­ponierend, interpretierend, improvisierend oder zuhörend
52 Baue dein Leben und dein Musizieren nicht auf Vermeidungsstrategien auf
53 Gib’s zu
54 Nimm Entschuldigungen an
55 Mache dir und anderen nicht vor, du seist über Kritik erhaben
56 Gewöhne dich weder an Schwächen noch an Stärken deiner Schüler
57 Halte für möglich, dass der Groschen noch fällt
58 Suche unaufhörlich nach Wegen, Bildern, Formulierungen, die Fantasie wecken und motivieren
59 Schüler fordern heißt, sie ernst nehmen. Etwas durch­gehen lassen, bedeutet Missachtung
60 Suche für dich und mit deinen Schülern immer nach einem schönen Klang, unabhängig vom Wert des Ins­truments oder der Raumakustik

61 Erinnere dich an die vorherige Stunde, zeige dem Schüler, dass du einen Plan hast
62 Freue dich auch über kleine Fortschritte
63 Versuche, persönliche Wertschätzung von guten Leis­tungen oder Wettbewerbserfolgen zu entkoppeln
64 Setze deine Schüler nicht mit Erwartungshaltungen unter Druck
65 Die größte Spaß- und Kreativitätsbremse ist der Stress, keine Fehler machen zu wollen
66 Nicht in jedem Alter geht es konsequent bergauf. Auch für den Erhalt von Fähigkeiten und von Freude an der Musik lohnt sich der volle Einsatz musikpädagogischer Kompetenz
67 Achte diejenigen, die dir erlauben, dich auf deine Mu­sik und deine Pädagogik zu konzentrieren: Schulleiter, Verwaltung, Hausmeister…
68 Leiste deinen Beitrag zum Gelingen des Ganzen
69 Halte deine Dokumente in Ordnung
70 Halte dich an Vereinbarungen

71 Sieh der Zukunft ins Auge, sorge vor für dein Alter, für deine Gesundheit
72 Bleibe neugierig und aufgeschlossen gegenüber allen Weiterentwicklungen der Technik, die deine Möglichkeiten, kreativ zu sein, erweitern
73 Sei ein Freund deines Körpers
74 Genieße
75 Lass dich nicht gehen
76 Freiheit vor Sicherheit
77 Achte Vielfalt und freue dich an ihr
78 Bleibe neugierig auf Neues, Fremdes, Unerhörtes
79 Bewahre dir etwas von dem Gefühl zu „spielen“, wenn du musizierst
80 Liebe die Musik, die du deinen Schülern zu üben aufgibst. Auch die „kleinen“ Stücke

81 Sei dir der Wirkungen von Musik bewusst
82 Musik kann Welten öffnen und Welten verschließen
83 Musik kann Grenzen überwinden und Grenzen aufbauen
84 Musik kann Zugehörigkeit stiften, aber auch ausschließen
85 Musik kann wecken und den Geist schärfen, aber auch betäuben, vernebeln und abstumpfen
86 Nur mit musikalischer Bildung und musikalischer Pra­xis gelingt ein selbstbestimmter Umgang mit Musik
87 Misstraue der Musik, die an jedem Ort zu jeder Zeit verfügbar ist
88 Höre möglichst nur Livemusik, außer Zeitzeugnisse der „großen Alten“
89 Musik kannst du nicht festhalten, Vergänglichkeit ist auch ein Reiz
90 Arbeite daran, genau den Klang (das Tempo, die Lebendigkeit, die Leichtigkeit oder Schwere, die Tiefe oder Brillanz) zu erreichen, wie ihn dein inneres Ohr wünscht, mit Geduld, Fleiß, langem Atem, aber ohne Perfektionszwang

91 Achte diejenigen, die Musik als Werkzeug einsetzen, um als Musiktherapeuten, als Musikgeragogen oder in sonstigen Berufen Lebenssinn wiederzufinden oder zu erhalten
92 Achte diejenigen, die Musik als Liebhaberei betrachten, die mit mehr oder weniger Können, Anspruch oder Einsatz allein oder in Laienensembles mit Freude musizieren
93 Noten sind nicht mehr als eine Gedächtnisstütze
94 Setze dich nach Kräften für diejenigen ein, deren Leistung als Musiker von der Gesellschaft nicht gerecht entlohnt wird
95 Du allein trägst Verantwortung für das Werk, das du zum Klingen bringst

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 2/2017.