© Michlbauer Harmonikaschule

Petz, Johannes

Jenseits von Um-ta-ta

Die Steirische Harmonika: ein interessantes Instrument für Kinder und Erwachsene

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 2/2017 , Seite 37

Bei der Steirischen Harmonika ­denken viele an volks­tümliche Unter­haltungsmusik à la Musikan­ten­stadl, an schunkelnde Menschen­massen, die sich von hyperaktiven Interpre­ten animieren lassen. Durch einfachste Melodien, Harmonien und oft sinnfreie Texte gelang es der Musik­industrie, die Massen zu begeistern. Die Folge war allerdings, dass die Harmonika ihren guten Ruf als ­vielseitiges und wirkungsvolles Volksmusikinstrument verlor.

Viele volkstümliche InterpretInnen müssen gegen ihr schlechtes Image kämpfen. Doch wie in allen Genres gibt es auch hier herausragende Künstlerinnen und Künstler, die sowohl in ihrer Kreativität und ihren künstle­rischen Fähigkeiten als auch in spieltechnischer und musikalischer Hinsicht ihren KollegInnen aus Klassik oder Jazz in nichts nachstehen. Dass dieses negative und primitive Klischee immer mehr der Vergangenheit angehört, zeigen die erfreulichen Entwicklungen und die Verbreitung der Steirischen Harmonika. Dank neuer und einfacher Lernmöglichkeiten zählt dieses Instrument mittlerweile zu den beliebtesten Volksmusikinstrumenten des Alpenraums.
Auch in österreichischen Musikschulen findet man dieses Instrument flächendeckend in den Lehrplänen und im Fächerangebot. Darüber hinaus boomt die Harmonika – und das ist wirklich bemerkenswert – aber auch im gesamten deutschsprachigen Raum. Der Wunsch vieler spätberufener, erwachsener Schülerinnen und Schüler nach „handgemachter“ Volksmusik aus ihrer Region, wofür die Harmonika bestens geeignet ist, wird immer größer. Deshalb schlummert hier ein riesiges Potenzial an neuen SchülerInnen für Musikschulen und freiberufliche Lehrkräfte.

Historische ­Entwicklung

Die Steirische Harmonika gehört wie auch das Akkordeon zur Familie der Handzuginst­rumente. Zu dieser Gattung zählen alle Inst­rumente, die durch Aufziehen und Zusammendrücken eines Balgs einen Luftstrom erzeugen, der freischwingende Durchschlagzungen in Bewegung versetzt. Somit gehören sie wissenschaftlich gesehen zu den Aerofonen, im Speziellen zu den Harmonika-Instrumenten. Direkter Vorläufer der Steirischen Harmonika ist unter anderem das Harmo­nium (um 1810 von Bernhard Eschenbach entwickelt) und die Physharmonika, welche Anton Häckl 1821 in Wien patentieren ließ. Mit der Steirischen sehr eng verwandt ist auch die Mundharmonika, die auch in dieser Zeit erstmals auftauchte. Die Melodie-Tastenreihe einer Harmonika hat denselben Aufbau wie bei einer Mundharmonika.
Als Erfinder des „Accordions“ ist der Orgel- und Klavierbauer Cyrill Demian in die Musikgeschichte eingegangen. Bei seinem Patent vom 23. Mai 1829 verwendete Demian in Wien zum ersten Mal die Bezeichnung „Accordion“ für sein neuartiges Instrument, weil bei jeder Taste drei- bis fünftönige Akkorde eingebaut waren. Dieses Instrument war zudem wechseltönig, das heißt auf Zug und Druck erklangen unterschiedliche Töne. Das sehr handliche und mit einem kleinen Blasebalg ausgestattete Instrument war ausschließ­lich zum Begleiten gedacht. Auch Nichtmusikanten konnten es sehr schnell bedienen, weil es nur sechs Tasten hatte, aber durch die Wechseltönigkeit zwölf verschiedene Dur- und Moll-Akkorde spielbar waren – ­ideal zur Liedbegleitung. Erst später kam die Melodieseite mit zunächst zwei Tastenreihen dazu. Die Tastenreihen hatten (wie schon erwähnt) denselben Tonaufbau, nämlich Dreiklänge wie bei einer Mundharmonika.
Es ist verständlich, dass ein so einfaches Inst­rument, das weder von der Herstellung noch vom Material her ausgereift war und im ländlichen Raum zur Belustigung „einfacher Leute“ diente, in der hochstehenden romantischen Musik keinerlei Anerkennung fand. Das ist auch ein Grund, weshalb in den Geschichtsbüchern die Steirische Harmonika, auch diatonische Knopfharmonika genannt, so gut wie nicht aufscheint. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Steirische Harmonika in größeren Stückzahlen in Wien, in der Steiermark und in Kärnten hergestellt. Schnell fand diese spezielle Art der Knopfharmonika in der Volksmusik ihre Verbreitung im gesamten Alpenland.
Es dauerte bis in die 1970er Jahre, bis die erste geeignete Schule in Griffschrift von Max Rosenzopf herauskam. Davor wurde das Instrument fast ausschließlich nach Gehör und durch Abschauen der Griffe unterrichtet. Durch die Pionierarbeit von Max Rosenzopf fand das ­Instrument auch Einzug in die Musikschulen Österreichs. In den 1980er Jahren startete im Rahmen von Volksmusiklehrgängen die staatliche Lehrerausbildung in Salzburg und Graz auf der Steirischen Harmonika, wodurch das Instrument einen großen Aufschwung erlebte. Den Durchbruch im pädago­gischen Bereich erlangte die Harmonika durch die 1992 veröffentlichte Video-Schule von Florian Michlbauer. Er entwickelte den Aufbau der Griffschrift und vielfältige Spielliteratur weiter, sodass es nun auch mög­lich wurde, das Instrument ohne Lehrkraft zu erlernen.
In den 1990er Jahren verhalfen international bekannte Interpreten wie Hubert von Goisern dem Instrument zu steigendem Bekanntheits­grad und lösten einen regelrechten Boom der Harmonika in Österreichs Musiklandschaft und über die Grenzen des Alpenlands hinweg aus, der bis heute anhält. So entwickelte sich die Steirische Harmonika aufgrund der einfachen Erlernbarkeit zu einem der beliebtesten Instrumente für Erwachsene.
Mittlerweile ist die Steirische Harmonika auch als Wettbewerbsinstrument etabliert. Zudem gibt es ein flächen­deckendes Unterrichtsangebot in österreichischen Musikschulen für Kinder und Jugendliche. Jedes Jahr beginnen ca. 3000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die Harmonika zu erlernen. Mangels Unterrichtsmöglichkeiten auch oft ohne Lehrperson.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2017.