Eikmeier, Corinna
Bewegungsqualität und Musizierpraxis
Zum Verhältnis von Feldenkrais-Methode und musikalischer Improvisation
Haben Sie schon einmal in ungewohnten Körperpositionen Ihr Instrument gespielt oder gesungen – z. B. mit nur einer Gesäßbacke auf dem Stuhl – und dabei beobachtet, was sich an Ihrem Klang und Spielfluss ändert? Und womöglich bemerkt, dass solch dynamische Haltungs- und Bewegungsformen ebenso wie Impulse vom Atem, vom Bauch-Becken oder Bein aus Ihr Musizieren freier machen, leichter, gelöster, expressiver? Dann befinden Sie sich ganz nah an den Laborräumen der Cellistin, Improvisatorin und Feldenkraislehrerin Corinna Eikmeier, die in ihrer Dissertationsschrift die Wechselwirkungen von Körperbewegungen und Musizierweisen untersucht und für einen spielerisch-experimentellen Umgang mit Körper, Klang und Musik plädiert.
Das Besondere des Ansatzes liegt darin, dass eine große Körperschulungsform – die Feldenkrais-Methode – und ihr zentrales Merkmal – das Improvisieren mit Bewegungen zur Steigerung von Bewusstheit und Leichtigkeit – direkt auf das Musikmachen, vor allem das Improvisieren mit Instrument und Stimme bezogen untersucht wird. Das Erproben und Erspüren alternativer Bewegungen, so das erfrischende Ergebnis der Arbeit, fördert die Spontaneität des Musizierens. Ebenso ist musikalische Improvisation, vor allem das freie Improvisieren mit wenigen Vorgaben in der Lage, eingefahrene (mitunter hemmende) spieltechnische Bewegungsmuster zu flexibilisieren, den musikalischen Ausdruck zu steigern und unsere musikalisch-körperlichen Grenzen zu erweitern.
Vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen behandelt Corinna Eikmeier ihr Thema auf ebenso praxisbezogene wie wissenschaftlich fundierte Weise, sodass experimentierfreudige LeserInnen eine Menge praktische Anregungen und wissenschaftliche Erkenntnisse zugleich erhalten; und dies nicht nur auf den 406 Seiten des Buchs, sondern darüber hinaus in einem ebenso umfangreichen Online-Teil, der die qualitative Forschungsmethode und ihr Datenmaterial dokumentiert.
Fundiert und vorbereitet wird die empirische Untersuchung, die sich wohltuend vor falscher Verallgemeinerung hütet, durch ein Kapitel zu Aspekten der Improvisation als „Autopoiese“ in der Gegenwart, in dem die „Kunst des Unvorhersehbaren“ definiert und unter verschiedenen Gesichtspunkten thematisiert wird, freilich ohne in historisch-stilistischer Bandbreite behandelt zu werden.
Feldenkrais fördert freies improvisatorisches Musizieren (und ebensolches Interpretieren), musikalisches Improvisieren begünstigt freie, gelöste Spielbewegungen; und beides ist gut für die menschliche und musikalische Entwicklung – so könnte man die Arbeit zusammenfassen. Eine wegweisende Publikation aus der Wiener Schule der Instrumentalpädagogik, die nachdrücklich empfohlen sei.
Wolfgang Rüdiger